Medienmitteilung – Wann und woran wir sterben werden, hängt heute immer mehr von bewussten Entscheidungen ab: Was möchte ich noch, wo setze ich Grenzen? Der Vortrag «Palliative Care in der Geriatrie – eine Selbstverständlichkeit?» am 12. Juni in Aarau von Roland Kunz, dem bekannten Facharzt für Geriatrie und Palliativmedizin aus Zürich, weist auf die Möglichkeiten und Grenzen von Palliative Care in der Geriatrie hin.
«Leise betrete ich das Zimmer und begrüsse Orchidea (Namen geändert). ‚Heute hat sie einen guten Tag, sie ist sehr ruhig. Gestern war es schwierig‘, berichtet die Betreuungsperson. Für mich ist nun nur noch Orchidea wichtig. Ich frage sie, ob ich mich zu ihr setzen darf, und sie nickt. Mit grossen Augen schaut sie mich an. Fragen beantwortet sie nur mit kurzen Worten, aber eine bestimmte Vertrautheit ist da.
Die eine Hand von Orchidea hängt über die Bettkante. Es ist eine lange, schlanke, junge Hand. Mir wird bewusst, dass Orchidea ein Jahr jünger ist als ich. Aber das ist jetzt nicht wichtig, denn ihr Kreis wird sich bald schliessen. Sie hat ihr Leben gelebt, es war kein Einfaches. Sie hat keine Schmerzen und kuschelt sich in die Decke. Die hängende Hand sucht mein Knie. Ich frage, ob ich ihre Hand halten soll? ‚Jooo’, sagt Orchidea und ihre Hand verschwindet in den meinen. So sind wir ruhig und friedlich beisammen. Sie schläft ein.
Als sie erwacht, schaut sie mich wieder gross an. Orchidea lässt sich von mir Lippenpflege machen, sonst will sie nichts. Nur den grossen Plüschhund möchte sie auf die Brust nehmen. Sie streichelt ihn. Nach einer Weile wird er zu schwer. Wir platzieren ihn rechts neben ihren Kopf. Sie dreht immer wieder den Kopf und schaut ihn an. Dann erscheinen die Spitexfachfrauen und pflegen sie zu zweit.
Später kommt Peter ins Zimmer. Orchidea ist hellwach und sagt mit ihrer kräftigen dunklen Stimme: ‚Hoi Peter!’ Ich gebe den Stuhl frei. Sie singen zusammen s’Guggerzytli. Orchidea dürfte noch einen Musikwunsch äussern, doch sie bleibt stumm. Peter sagt, dann singe ich die letzte Strophe vom Guggerzytli nochmals: ‚Gugu, Gugu’ ruft Orchidea immer wieder ganz laut. Wir wiederholen den Refrain mehrmals, es ist ein magischer Moment.
Peter verabschiedet sich und Orchidea fällt in sich zusammen. Sie scheint erschöpft, aber glücklich. Sie schaut mich immer wieder an, und ich bestätige, ich bin da. Dann schläft sie ein. Als ich das Fenster schliesse, öffnet sie wieder die Augen. ‚Orchidea, ich lasse dich jetzt schlafen.’ Sie nickt. Sie streckt mir ihre Hand hin und verabschiedet sich von mir. Voller Frieden verlasse ich das Zimmer. In dieser Nacht schläft Orchidea für immer ein.»
Palliative Care-Dienst der Aargauer Landeskirchen
Die Aargauer Landeskirchen begleiten im Rahmen ihres Palliative Care-Dienstes pro Jahr 600 sterbende Menschen zu Hause, im Altersheim oder im Spital. 2018 wurden insgesamt 9603 Stunden durch ausgebildete Freiwillige in der Begleitung geleistet. Dadurch können Sterbende länger oder bis zum Lebensende zu Hause bleiben, und ihre Angehörigen werden entlastet.