Am 27. April hatte der Informationsdienst der Landeskirche die Kommunikations- und Leitungsverantwortlichen der Kirchgemeinden zu einer Tagung über ein wichtiges Thema eingeladen: Wie können die Verantwortlichen in einer Krise richtig reagieren und kommunizieren, welche Regeln sind zu beachten, welche Schritte sind notwendig? 50 Kirchenpflegemitglieder und Mitarbeitende der Gemeinden verfolgten im Haus der Reformierten in Aarau aufschlussreiche Referate.
Nach der Begrüssung durch Kirchenratspräsidentin Claudia Bandixen und der charmanten Vorstellung des Moderators, Beat Huwyler, brachte Balz
Bruder mit dem ersten Referat das Thema gleich in Schwung. Er ist Kommunikationsleiter des Departements Gesundheit und Soziales und
Mediensprecher von Regierungsrätin Susanne Hochuli. In seiner «Kommunikationsanalyse zum Thema Asylunterkunft Bettwil» spürte man die
Betroffenheit und auch die Verletzung durch die gehässigen Bemerkungen und Vorurteile, die im Umfeld von Bettwil gegenüber Asyl suchenden
Menschen geäussert wurden. Da gab es manche Entwicklungen und Reaktionen in der Öffentlichkeit, mit denen man im Departement nicht gerechnet
hatte. Im Rückblick würde Bruder auch in der Kommunikation andere Akzente setzen. Ein frühzeitiger Einbezug der betroffenen Bevölkerung, nach dem ein Tagungsteilnehmer fragte, hätte aber nach Meinung von Bruder an der ablehnenden Haltung in Bettwil auch nichts geändert und nur den Streit verlängert.
Enttäuscht äusserte sich Bruder auch über das Verhalten der Medien, die gar nicht auf die Notwendigkeit der Unterbringung von Asylsuchenden und
auf die menschlichen Seiten des Problems sondern nur auf den Aufstand der Bettwiler eingegangen wären.
Radio - «das schnellste Medium, wenn es Krisen gibt»
Eine Steilvorlage für den zweiten Referenten des Abends, Jürgen Sahli, seit 12 Jahren Chefredaktor des Privatsenders Radio Argovia. Er erläuterte mit ungeschminkten Worten wie Medien sich in Krisensituationen verhalten, welche Rolle und Pflichten Journalisten hätten, wenn sie einigermassen seriös arbeiteten, und was sie von den Verantwortlichen in einer Krisensituation erwarteten. Sie müssten kritisch nachfragen, dürfen sich nicht nur mit der Auskunft einer Person oder mit einer Meinung zufrieden geben und müssten möglichst verschiedene Stimmen einholen. Er konstatierte, dass Balz Bruder als früherer Journalist und Ressortleiter bei der Aargauer Zeitung, diese Aufgaben der Medien eigentlich verstehen müsste und wies gewisse
Vorwürfe an Radio Argovia zurück.
Das Radio sei auch im Zeitalter des Internets immer noch «das schnellste Medium, wenn es Krisen gibt», so der Titel seines Vortrags, und stelle
entsprechend hohe Anforderungen an die Krisenkommunikation. Es müsse eine klare Ansprechperson geben, die auch möglichst offen Auskunft geben
sollte. Probleme zu verheimlichen, oder nichts zu sagen, nütze nichts, weil das Radio dann bei anderen Personen die entsprechenden Auskünfte hole.
Krisen in Aargauer Kirchgemeinden
Der Schreibende stellte anschliessend mit zwei Fallbeispielen von Krisensituationen in Aargauer Kirchgemeinden mit nationaler Präsenz in den Medien die Prinzipien und Regeln der Krisenkommunikation dar. Es ging um die Fälle des Pfarrers in Umiken, der 1999 nach einem Disziplinarverfahren wegen sexueller Übergriffe aus dem Amt entlassen wurde, und einen Pfarrer, der 2010 bzw. 2011 vom Vorwurf der sexuellen Übergriffe gegen seine Tochter von Bezirksgericht Zofingen und vom Aargauer Obergericht freigesprochen wurde.
Krisensituationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie überraschend eintreten und sich rasant und mit hoher Eigendynamik entwickeln. Fast immer geht es um Menschen, die zu Schaden kommen und denen die erst und grösste Aufmerksamkeit und Sorgfalt der Verantwortlichen der Kirchgemeinde gelten muss. Durch das grosse öffentliche Interesse und den Zeitdruck von den nachfragenden Medien aufgebaut wird, ist der Handlungsspielraum eingeschränkt und die Kommunikation muss sehr sorgfältig überlegt und geplant werden.
Zu den ersten Schritte gehört deshalb die Einrichtung eines Krisenstabs mit mindestens dem Kirchenpflegepräsidium, dem Pfarramt, den
Ressortverantwortlichen und zusätzlichen Fachleuten. So schnell wie möglich sollten die Fachleute der Landeskirche, die Stabsstellen Kommunikation sowie Theologie und Recht, informiert werden. Sie werden die Kirchgemeinde sofort unterstützen und beraten.
Die sieben wichtigsten Fragen in der Krisenkommunikation
Was dann in der Kommunikation zu beachten ist, kann man am besten anhand der sieben wichtigsten Fragen, die von den Medien gestellt werden,
überlegen: Was ist passiert? Wer ist betroffen und wie? Wie wird den Betroffenen jetzt geholfen? Wer ist schuld? Welche Sofortmassnahmen wurden zum Schutz ergriffen? Wer ist dafür verantwortlich (auch in langen Zeiträumen)? Wie wird der Schaden behoben? Wie wird sichergestellt, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann, welche Konsequenzen zieht man aus dem Vorfall? Kann man diese Fragen gut und klar beantworten, kann man auch in einer Krise gut kommunizieren.
Martin Peier wurde als Fernsehbeauftragter der Reformierten Medien schon oft mit der Medienarbeit in grösseren Krisensituationen betraut und erzählte aus den Erfahrungen mit dem nationalen Trauergottesdienst nach dem Tsunami 2004 oder mit dem Trauergottesdienst 2007 in Appenzell für das ermordete fünfjährige Mädchen Ylenia, der von nationalen und internationalen Medien belagert wurde. Peier stellte in seinem Vortrag «Heile Welt in Krisen» vor allem Fragen: Welche Aufgaben nehmen die Kirchen, welche die Medien wahr? Wo treffen sie sich, wo unterscheiden sie sich? Zu den Aufgaben der Kirchen zählte er Trost sagen und spenden, Begleitung und Seelsorge mit Nähe und Distanz, und prophetische Aufrufe. Die Medien müssten informieren, wollen aber auch zunehmend Betroffenheit und Anteilnahme vermitteln und überschreiten dabei oft die Grenzen der Betroffenen. Eine besondere Bedeutung kommen dabei neuen symbolischen Zeichen und Handlungen der Kirchen mit «sozioreligiöser» Bedeutung (auch für nicht-religiöse Menschen geeignet) in einem säkularen Umfeld zu.
In der abschliessenden Fragerunde unter Leitung von Beat Huwyler gingen Claudia Bandixen, Martin Peier und Frank Worbs auf die vielen Fragen aus
dem Publikum ein. Zum Beispiel auf die kontrovers diskutierte Frage nach dem Umgang mit der Wahrheit in der Krisenkommunikation. Meistens stellt sich schnell heraus, dass es viele Wahrheiten mit vielen Facetten gibt, v. a. wenn es um interne Spannungen und Konflikte geht.