«Herr, gib ihm noch ein Jahr Zeit»

Bericht von der Synode am 14. November 07 in Aarau

Veröffentlicht am 14. November 2007

Medienmitteilung – Eine letzte Frist verbunden mit einem Auftrag zur Erarbeitung neuer Perspektiven und einem geänderten Zweck waren das Ergebnis der langen Diskussion in der Synode der Reformierten Landeskirche Aargau am Mittwoch in Aarau über die Zukunft Tagungshauses Rügel. Kirchliche Erwachsenenbildung wird zwar in unverändertem Umfang aber in ganz neuen Formen stattfinden.

Der 50 Jahre alte, renovationsbedürftige Rügel muss für andere Zwecke genutzt werden. Der Kirchenrat muss der Synode mehrere Nutzungsvarianten vorlegen. Diese wird das letzte Wort zur neuen Ausrichtung oder zum Verkauf als Ultima Ratio haben. Nach ebenso intensiver Diskussion wurde schliesslich die Freie Wahl der Kirchgemeinde mit zwei Drittel Zustimmung verabschiedet. Mitglieder der Reformierten Aargauer Landeskirche können ab 2008 auch in einer anderen Kirchgemeinde als der Wohnortsgemeinde vollwertiges Mitglied werden. Der ausgeglichene Voranschlag 2008 wurde ohne Änderungen fast einstimmig genehmigt.

Synode am 14. November 07 im Grossratssaal in Aarau: der Kirchenrat (mittl. Reihe), Synodebüro (unt. Reihe) und Synodepräsidium (oben) Frank Worbs

Zur Diskussion über die Zukunft des Tagungshauses der Reformierten Landeskirche auf dem Rügel bei Seengen, dessen problematische Situation von allen Votanten anerkannt wurde, zog der Synodale und Pfarrer Paul Klee ein Gleichnis Jesu im Lukasevangelium über einen Weinbergbesitzer heran (Lukas, 13,6-9). Der wollte einen Feigenbaum in seinem Weinberg umhauen lassen, weil er schon seit Jahren keine Früchte trug. Der Weingärtner aber bat ihn: «Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.»
Die 160 Synodalen im Grossratssaal in Aarau legten zwar keinen festen Zeitrahmen fest, beauftragten aber den Kirchenrat, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, «die verschiedene Möglichkeiten einer Zweckänderung prüft.» Dazu «sammelt und sichtet sie die Vorschläge aller Gruppen», die sich an der Diskussion beteiligen. Der Kirchenrat muss der Synode dann mehrere Varianten zur Abstimmung vorlegen. «Ein allfälliger Verkaufsentscheid wird von der Synode gefällt.»
Diesen Antrag legte der Kirchenrat nach kurzer Beratung in Abänderung seines ursprünglichen Antrags vor, der weitreichende Entscheidungskompetenzen des Kirchenrats enthielt und von vielen Synodalen als «Blankoscheck» kritisiert wurde. Der Kompromissvorschlag nahm alle Anliegen der Votanten und der zahlreichen vorliegenden Änderungsanträge so umfassend auf, dass Letztere samt und sonders zurückgezogen wurden.
Die schon bei der Frage des Eintretens heftig geführte Debatte, deren Qualität und Tiefe vom für den Rügel zuständigen Kirchenrat Konrad Naegeli lobend vermerkt wurde, dauerte fast drei Stunden. Sie ging auf die Vor- und Nachteile des Rügels ein, der «als christlicher Kraftort eine Perle» sei (Martin Richner) aber absolut nicht behindertengerecht, was sich eine Kirche nicht mehr leisten könne (Reinhard Keller, bis 06 Leiter von Pro Infirmis Aargau) und dessen bauliche Sanierung grosse Investitionen verlangt, die eine Erhöhung des Zentralkassenbeitrags zur Folge hätten. Karin Büchli, OK-Mitglied des Rügel-Jubiläums, bestätigte die Bedenken des Kirchenrats aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen bei den Aktivitäten zum 50-Jahr-Jubiläum des Rügels 2006: «Er wird von den Kirchgemeinden kaum getragen und noch weniger genutzt».
Was auch mit dem Rügel demnächst passieren wird, die personellen Ressourcen für die kirchliche Erwachsenenbildung werden im Aargau beibehalten, wie die Synode in Zustimmung zum Kirchenratsantrag einstimmig bestätigte. Allerdings müsse die Nachfolge des Ende 2007 zurücktretenden Studienleiters Thomas Bornhauser so geregelt werden, dass die Neuausrichtung des Rügels nicht behindert werde, ergänzte die Synode auf Antrag von Stefan Mayer.

Ab 2008 die eigene Kirchgemeinde frei wählen können

Dass es ein Bedürfnis vor allem engagierter Kirchenmitglieder gebe, zum Beispiel bei einem Wohnortswechsel oder tiefgreifenden Unstimmigkeiten mit der Kirchgemeinde am Wohnort eine andere Kirchgemeinde als Heimat wählen zu dürfen, daran zweifelte niemand in der Synode. Kirchenrat Urs Karlen stellte das neue Modell vor, nach dem ein Mitglied in der Wahlkirchgemeinde nicht nur alle Angebote nutzen könne sondern neu auch seine politischen Rechte wie aktives und passives Stimm- und Wahlrecht ausüben dürfe. Auch der grösste Teil seiner unverändert von der Wohnortsgemeinde eingezogenen Kirchensteuern würde an die Wahlkirchgemeinde überwiesen, um den Wunsch des Mitglieds ernst zu nehmen. Einzig die Wahl in die Synode bleibt ihm in der Wahlkirchgemeinde aufgrund der komplizierten kirchlichen Rechtslage auch nach dem neuen Modell verwehrt.
In der sehr kontroversen Debatte brachte David Lentzsch die Bedenken vieler Gegner mit der Frage auf den Punkt, ob denn durch die neue Regelung ein effektiver Mehrwert für die Kirchgemeinden geschaffen werde, der den grossen administrativen Aufwand rechtfertige. Praktisch sei die Teilnahme am Leben einer anderen Kirchgemeinde schon heute kein Problem. Auch andere Rednerinnen und Redner richteten die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Belastungen der Kirchgemeinden und zum Teil kuriose Detailfragen. Kirchenratspräsidentin Claudia Bandixen betonte daraufhin, dass es hier um die Interessen aktiver Kirchenmitglieder gehe, die der Kirche auch etwas wert sein sollten. Schliesslich, so wurde betont, seien die Gemeinden für das Wohl ihrer Mitglieder da und nicht umgekehrt.
Am Ende stimmte die Synode dem neuen Modell zur freien Wahl der Kirchgemeinde mit 83 gegen 63 Stimmen zu. Es gilt ab Anfang 2008. Die Aargauer Kirche ist dann die einzige grössere Landeskirche in der Schweiz mit einem flexiblen Mitgliedschaftsmodell.
Die einzige wesentliche Änderung der Vorlage – für die GPK von Franziska Zehnder und vom Kirchenrat parallel eingebracht – betrifft die Aufteilung der Kirchensteuer des wechselnden Mitglieds, von der die Wohnortgemeinde nun 25 statt 10% zurückbehält, weil sie davon den Beitrag an die Zentralkasse der Landeskirche leisten und das Steueramt für den Einzug der Kirchensteuer entschädigen muss.

Budget 2008 und zwei Motionen

Die anderen Synodegeschäfte gingen ohne Änderungen und kontroverse Diskussionen über die Bühne. So wurde der ausgeglichene Voranschlag der Zentralkasse der Landeskirche einstimmig genehmigt. Bei einem gleich bleibenden Zentralkassenbeitrag der Kirchgemeinden von 2,4 Prozent rechnet er mit Ausgaben und Einnahmen in Höhe 11 279 600 Franken. Das ist eine Steigerung um 265 500 Franken oder 2,4% gegenüber der Rechnung 06. Nur bei den verschiedenen Projekten zur Umsetzung des Arbeitsprogramms, für die 2008 gesamthaft 502 000 Franken budgetiert sind, wurden mehr und regelmässige Informationen verlangt.
Für die Mindestbesoldungen der Angestellten in den Kirchgemeinden bewilligte die Synode den vom Kirchenrat vorgeschlagenen vollständigen Ausgleich der vom Mai 06 bis Mai 07 aufgelaufenen Teuerung mit einer Erhöhung des Teuerungsindexes in allen Minimalbesoldungsreglementen um 0,5 Indexpunkte von 106,4 auf 106,9%. Angesichts der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung empfiehlt der Kirchenrat den Gemeinden, sogar noch höhere Lohnanpassungen vorzunehmen.
Zum Abschluss der ganztägigen Sitzung behandelte die Synode noch zwei Motionen. Eine Motion hat die Etablierung einer alljährlichen Feier der «Schöpfungszeit» in allen Kirchgemeinden zum Ziel, weil – so die Begründung der Motionäre – wir «uns neu bewusst werden, dass wir Geschöpfe unter Geschöpfen sind, dazu berufen, für Gottes Schöpfung einzutreten und zu sorgen». Sie wurde in abgeschwächter Form vom Kirchenrat angenommen: Er solle jedes Jahr eine Liturgie zur Schöpfungszeit erarbeiten und verschicken.
Die andere Motion wollte das Problem, dass vereinzelte Steuerberater zur Einsparung von Steuern ihren Klienten zum Kirchenaustritt raten, mit einer Öffentlichkeitskampagne angehen. Dass dies nicht die richtige Antwort sei, fanden Kirchenrat und Synode und wiesen die Motion ab.

verfasst von
ria / Frank Worbs