Medienmitteilung – Wie kann Palliative Care die Angst vor dem Ende lindern? Darüber informierten sich gut 200 Besucher an der interdisziplinäre Fachtagung «Angst am Lebensende» am 26. April in Aarau. Eingeladen hatten die drei Aargauer Landeskirchen und der Verein palliative aargau. Fazit: Am meisten Halt gibt die Haltung der Betreuenden.
Unerträgliche Schmerzen, Ersticken, Kontrollverlust, Trennung, Leere: Die meisten Menschen haben solche oder ähnliche Ängste, wenn es ans Sterben geht. Das Ziel von Palliative Care ist die bestmögliche Lebensqualität für Patienten und Angehörige, wenn keine Heilung mehr möglich ist. Deshalb ist auch die Linderung dieser Ängste ein wesentliches Anliegen von Palliative Care.
Die meisten haben Angst vor dem Sterben, reden aber nicht gern darüber
«Wenn man Angst hat vor dem, was kommt, kann man schlechter damit umgehen. Die Symptome machen Angst, und die Angst verstärkt die Symptome», so der Palliativmediziner Roland Kunz an der Tagung. Ausserdem sei Angst «ansteckender als manches Virus»: Wenn die Angehörigen Angst haben, verstärkt sich die Angst des Patienten. Im schlimmsten Fall haben auch die Pflegenden Angst vor einem aus Angst unbequemen Patienten, und das macht diesem noch mehr Angst.
Laut Statistiken haben 77% der Betroffenen solche Ängste, reden aber nicht gern darüber. «Man will ja kein Weichei sein», so Roland Kunz. Schmerzen würden bei der Patientenbefragung viel eher eingestanden als Ängste. Detaillierte Diagnoseinstrumente (sogenannte Assessments) erleichtern die Beobachtung möglicher Symptome von Angst. Einfühlsame Fragestellungen schaffen Vertrauen. Und wenn man über die Angst reden kann, ist sie schon viel weniger schlimm.
«Die meisten Menschen haben mehr Angst vor dem Sterben als vor dem Tod», sagte Kunz, auch weil darüber so wenig bekannt sei. «90 Prozent der Bevölkerung haben keine Ahnung, was beim Sterben passiert.» Dass zum Beispiel die gegen Ende unregelmässige Atmung nicht mit Erstickungsqualen einhergehen müsse, werde – im Gegensatz zur weit verbreiteten Geburtsvorbereitung – nirgendwo gelehrt.
Ein erster Schritt zur Angstlinderung ist deshalb eine möglichst präzise Information. Bei der vielleicht die Einsicht entsteht, dass es viel weniger schlimm ist, als man sich im Allgemeinen vorstellt. Angst lindern kann auch die Fokussierung auf das gelebte statt auf das nahe Ende, wie verschiedene Referenten betonten: «Was war schön in Ihrem Leben? Worauf sind Sie besonders stolz?» Bei der Begegnung mit Sterbenden gehe es viel mehr «um Haltung als um Kommunikation», so Kunz, nicht um gute Ratschläge und falsche Hoffnungen, sondern um Aushalten, Zuhören, Ernstnehmen.
Dem Tod ins Auge blicken
Am meisten Angst macht die Krebserkrankung, wie Psychotherapeutin Barbara Leu von der Psychoonkologie des Kantonsspitals Aarau erläuterte. Bei anderen Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes seien die Ängste bei weitem nicht so gross. «Bei Krebs ist immer das Lebensende vor Augen», so Leu. «Nichts ist mehr so wie vorher». Auch langjährige Überlebende hätten «bei jedem Symptom» Angst vor dem Rückfall. In der Therapie geht Leu vor allem den existenziellen Fragen nach, um sich der eigenen Sterblichkeit zu stellen und einen «vollen, festen Blick auf den Tod» zu ermöglichen, wie es der Psychoanalytiker und Schriftsteller Irvin Yoram formuliert. Die Haltung der Therapeutin ist das Wesentliche: Halten, Stützen, Respekt, Authentizität.
«Fürchte dich nicht» sagt die Bibel
Einen besonderen Beitrag bei der Angstminderung von Sterbenden kann die Seelsorge leisten. Denn zusätzlich zur der von allen Referenten hervorgehobenen respektvoll-zugewandten Haltung spielt die christliche Hoffnung die Hauptrolle in der Seelsorge. 365 Mal stehe der Satz «Fürchte dich nicht» in der Bibel, so der Theologe Ralph Kunz. Nicht als Befehl, sondern als Verheissung. Wobei man sich nicht allzu viel Gedanken über das sogenannte «ewige Leben» machen sollte. Gottes Ewigkeit sei weder eine endlose Zeitschlaufe, noch ein Schlaraffenland. Auch Nahtoderfahrungen könnten keine Vorstellung davon geben. Gottes Ewigkeit sei vielmehr eng mit Gemeinschaft und Beziehung verbunden. «Wir sind nicht allein», das sei die christliche Hoffnung, so Kunz. Einen Schritt weiter ging die reformierte Seelsorgerin Karin Tschanz. Ihre Hoffnung sei: «Das Schönste kommt erst noch.» Und wer selber Hoffnung habe, könne auch Hoffnung vermitteln.
Palliative Care ist bei entsprechendem Setting auch daheim möglich, wie die Hausärztin Eva Erdmann und Daniela Mustone, Leiterin der Fachstelle Palliative Care der Spitex Aargau, in einem eindrücklichen Fallbeispiel erläuterten. Der Patient italienischer Herkunft hatte ein reiches Beziehungsnetz, von der Familie war immer jemand da. Was bisweilen fehlte, war eine ruhige Umgebung. Die Fachfrauen intervenierten, wenn es notwendig war, hörten zu, informierten, nahmen die Ängste des Patienten und der Angehörigen ernst und waren rund um die Uhr erreichbar. Der Patient starb, als seine Ehefrau am Sterbebett die Geschichte ihrer Liebe erzählte.
Freiwillige verschenken sich selbst und viel Lebensqualität
Ohne die zahlreichen Freiwilligen wäre eine umfassende palliative Betreuung nicht möglich, so Karin Tschanz. Denn: «Freiwillige können etwas, was Fachpersonen nicht können: stundenlang begleiten. Sie verschenken sich selbst.» So seien im vergangenen Jahr 565 Personen insgesamt 7770 Stunden begleitet worden. Die Anwesenheit der Freiwilligen beruhige und entlaste Patienten und Angehörige. Die Sterbebegleitung durch Freiwillige hat im Aargau eine lange Tradition: 1978 fing sie im Kantonsspital Baden an, 2010 startete die Reformierte Landeskirche Aargau den Palliative Care Begleitdienst mit Ausbildung von Freiwilligen. Seit 2016 wird dieses Projekt von den drei Aargauer Landeskirchen getragen.