Abschlussfeier und Tagung zur Spiritualität in der Palliative Care

Von der Kunst, die letzten Stunden zu gestalten

Veröffentlicht am 20. November 2014

Die Reformierte Landeskirche veranstaltete am 13. November zum Abschluss der kantonalen «Aktionstage für Psychische Gesundheit im Aargau» in Aarau die Tagung «Spiritualität und Quellen der Kraft» in Aarau. Medizinische, soziale und geistig-geistliche Aspekte wurden in Referaten aus verschiedenen Disziplinen als Ressourcen in der Begleitung von Menschen mit psychischen Leiden und Krankheiten dargestellt. Es wurden 36 Zertifikate für die abgeschlossene Ausbildung in Palliative Care ausgehändigt.

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Am 13. November 2014 fand die Abschlussfeier und Tagung zu Palliative und Spiritual Care statt. Markus Hässig, sinus.ch

In einem der beiden Hauptreferate zeichnete Dr. med. René Hefti, Chefarzt der Klinik SGM Langenthal und Leiter des Forschungsinstitutes für Spiritualität und Gesundheit, vier Milieus auf, in denen die Schweizerbevölkerung ihre spirituellen Ressourcen in Zeiten von Krankheit, Leiden und Sterben sucht: In traditionellen Einrichtungen (Kirchen, Gemeinschaften), in alternativen Angeboten (Esoterik, spirituelle Stärkung und Erfahrung), im säkularen, eher indifferenten Bereich und ganz unabhängig mit eher diffusen Überzeugungen.

Um mit physischen und psychische Herausforderung und Belastungen fertig zu werden, bieten u. a. Lebensoptimismus und Religiosität die nötigen
Kräfte, erklärte Hefti. Der Glauben als christliche spirituelle Ressource berühre die Sinnfrage und die eigene Identität in Zeiten, wo Kontrolle abgegeben und Veränderungen akzeptiert werden müssen. Das könne zur heilsamen Neubewertung der Sinnhaftigkeit des Lebens führen, auch in der Frage nach Gott: «Erlebe ich die Schwäche als Strafe oder als Kraft Gottes in der Not, als Angriff oder als Wachstum meiner Persönlichkeit?» Hefti betonte, dass geistliche Schulungsangebote wie die Palliative und Spiritual Care-Ausbildung der Reformierten Landeskirche dringend nötig seien in dieser materiell ausgerichteten Zeit.

Grosses Interesse an der Tiefendimension des menschlichen Daseins

Pfrn. Dr. theol. Karin Tschanz, Begründerin und Verantwortliche der Palliative und Spiritual Care-Ausbildung im Aargau, verwies auf das grosse Interesse an diesem Thema: 260 Personen haben in den vergangenen 5 Jahren die Ausbildung abgeschlossen und 4000 freiwillige Einsatzstunden bei Kranken und Sterbenden verbracht. Tschanz ist überzeugt, dass sich der Mensch auch im Sterbeprozess noch neu ausrichten kann, denn die Spiritualität durchdringt alle Dimensionen des menschlichen Daseins. Die Tiefe einer persönlichen Erfahrung zwischen Gott und Mensch sei jedoch nicht machbar, sondern immer ein Geschenk. Christliche Spiritualität berühre das Wesentliche, die innersten Fragen des Menschen: «Wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich, und was ist der Sinn meines Lebens?».

Palliative Care in der Schweiz als nationale Strategie zu fördern: Für jeden schwerstkranken und sterbenden Menschen soll die bestmögliche Lebensqualität erhalten bleiben. Eingeschlossen in dem nationalen Projekt «Lebensende» (2012-2017) sind Finanzen, Bildung und Forschung, Sensibilisierung und Freiwilligenarbeit. Seit 2013 gibt es einheitliche und verbindliche nationale Vorgaben für alle Freiwilligengruppen, die in der anspruchsvollen Palliative Care arbeiten.

Christliche Ethik als Grundlage für den würdevollen Umgang mit Menschen

In seinem Referat zeigte Dr. theol. Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche, die Verbindungen zwischen «Christlichem Menschenbild und Ethik» auf. Er sprach vom Menschen als Ebenbild Gottes: «Wir Menschen sind verletzlich, doch Gott teilt diese Verletzlichkeit mit uns.» Die Ethik ist Weber-Berg zufolge eine auf Selbsterkenntnis, Deutung und Urteilskraft sowie Autonomie und Freiheit basierende Auseinandersetzung mit den Fragen nach Gut und Böse. Die christliche Ethik bilde die Grundlage für den würdevollen Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen, die ihre Freiheit nicht mehr selbst wahrnehmen können. Die Hoffnung des christlichen Glaubens als Quelle der Kraft vertritt die Reformierte Landeskirche in ihrem Auftrag am leidenden Mitmenschen in der Palliative und Spiritual Care.

36 neue Zertifikate für die Ausbildung in Palliative und Spiritual Care

Die Tagung bildete auch den Rahmen für die Zertifikatsfeier der Lehrgänge 2014 der Palliative Care. 33 Absolventinnen und 3 Absolventen des Basiskurses A2 und des Vertiefungskurses B1 wurden dabei ausgezeichnet. Sie stammen aus den verschiedensten Berufen und Konfessionen. Die stellvertretende Kantonsärztin, Dr. med. Maria-Ines Carvajal, überbrachte die dankbare Anerkennung dieser Ausbildung und begrüsste das Anliegen, in dieser Begleitung immer auch ein Fenster zur spirituellen Dimension zu öffnen. Begleitet wurde die Zertifikatsfeier mit Musik von Brass4Fun.

Unterversorgung bei Ängsten und Depressionen

Zum Abschluss der Tagung sprach Prof. Dr. med. Daniel Hell vor 200 Gästen über das «Reich der verdunkelten Seele», die Depression in der Palliative Care. Oft denke man nur an die körperlichen Schmerzen - «psychische Erkrankungen sind mindestens genauso wichtig,» begann Daniel Hell. Den Hochleistungen in der medizinischen Versorgung stehe die Unterversorgung im seelischen Bereich, bei Ängsten und Depressionen, gegenüber. Die Angst, als gesundes Alarmsignal, werde in schwerer Krankheit und im Sterben oft zur existenziellen Hilflosigkeit: sie «ergreift» den Menschen und kann ihn in eine schwere Depression, ein Delirium, oder eine Verwirrtheit sinken lassen. Diese Bewusstseinsstörung bewirke oft Desorientierung, Halluzinationen und psychosomatische Störungen.

Die beste Therapie besteht in konstanter Betreuung, geduldigem Erklären, freundlicher Umgebung für alle Sinne und sorgfältige Abklärungorganischer Krankheiten, erklärte Hell. In dieser Situation braucht es Mitmenschen, die empathisch zuhören, einfach da sind und ihre eigene existenzielle und spirituelle Sicht gut zu kennen. Daniel Hell schloss mit den Worten: «Sterbende wissen oft besser, was im Leben zählt.»

verfasst von
Elisabeth Kemmler, Laura Rufer