Medienmitteilung vom Donnerstag, 21. Mai 2015 im Auftrag der Landeskirchen, der Römisch-Katholischen Pfarrei Baden, der Reformierten Kirchgemeinde Baden und des Theologischen Verlags Zürich, TVZ

Ein für die konfessionelle Entwicklung der Schweiz bedeutsames Ereignis geriet in Vergessenheit - Kommentiertes Protokoll der Badener Disputation von 1526 erschienen

Veröffentlicht am 21. Mai 2015

Medienmitteilung – Nach auf den Tag genau 489 Jahren wurde am Dienstag das Erscheinen der kommentierten, textkritischen Edition des Protokolls der für die Entwicklung der Eidgenossenschaft bedeutsamen Badener Disputation von 1526 gefeiert. Die Feier mit einem Vortrag von Dr. Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte der Universität Luzern, fand mit über 160 Gästen am selben Ort wie die Disputation statt: in der katholischen Stadtkirche Baden.

Cover Buch Protokolle Badener Disputation Ausschnitt2
Badener Disputation zVg

Die im Rahmen einer Eidgenössischen Tagsatzung vom 19. Mai bis 8. Juni 1526 in Baden in deutscher Sprache abgehaltene Disputation war ein Grossereignis der Reformationszeit. Es war vergleichbar mit der Leipziger Disputation 1519 und dem Reichstag zu Worms 1521 und von entscheidender Bedeutung für den weiteren Verlauf der Schweizer Geschichte. Es war der letzte Versuch der damals noch mehrheitlich altgläubigen schweizerischen Orte mit Beteiligung des habsburgisch dominierten Südwestdeutschlands, Zwingli und die reformatorische Bewegung zum Schweigen zu bringen und die konfessionelle Einheit der Eidgenossenschaft zu bewahren. Der grundlegende Dissens in den meisten der sieben Themenfelder der Disputation, Realpräsenz Christi im Abendmahl, Messopfer, Heiligenverehrung, Bilder und Fegfeuer, Fürbitte Marias und der Heiligen sowie Erbsünde und Taufverständnis, führte schliesslich zum Scheitern dieses Versuchs. Obwohl die zahlenmässig überlegenen Vertreter des alten Glaubens die Schlussabstimmung über die kontroversen Thesen gewannen, ging die Reformation in Teilen der Schweiz weiter, zwei Jahre später mit der Einführung in Bern.
So markiert die Badener Disputation den eigentlichen Beginn des für die Schweiz charakteristischen konfessionellen Nebeneinanders mit politischen und gesellschaftlichen Folgen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Aus dem historischen Bewusstsein in der Schweiz und leider auch im Kanton Aargau ist dieses bedeutende Ereignis indes weitgehend verschwunden.

Aus fünf handschriftlichen Protokollen eine textkritische Edition

Dr. phil. Wolfram Schneider-Lastin, der Herausgeber des im Theologischen Verlag Zürich erschienen 752 Seiten starken Buches, gedachte in seiner Ansprache des vor drei Jahren verstorbenen Mitherausgebers, Dr. Alfred Schindler, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Zürich. Seine Nachkommen würdigten an seiner Statt an der Feier den Abschluss der langjährigen Arbeit. Das für die Forschung zur Reformationsgeschichte in der Schweiz grundlegende Werk hatte vom Beginn der textkritischen Vorarbeiten 1998 bis zu seiner Fertigstellung 17 Jahre gebraucht. «Gut Ding will Weile haben, im besten Sinne dieses Sprichworts,» betonte Schneider-Lastin und gab interessante Einblicke in die riesige Arbeit. Beim Vergleich der von Protokollanten simultan geschriebenen Protokolle der Badener Disputation fiel den Herausgebern auf, dass diese trotz der eindeutigen konfessionellen Zugehörigkeit der Protokollanten erstaunlich wenige Unterschiede aufweisen. Die handschriftliche Vorlage von Johannes Huber für den offiziellen Druck wurde schliesslich als Grundlage für den kommentierten Text verwendet, der durch einen Sprach- und Sachkommentar, eine ausführliche historische Einleitung von Martin Jung und ein bio-bibliografisches Verzeichnis von ca. 60 der namentlich bekannten rund 200 Teilnehmer der Disputation ergänzt wird.
Dass es an der Disputation nicht nur um eine inhaltliche akademische Diskussion über kontroverse theologische Thesen ging, zeigen die Augenzeugenberichte und Briefe aus jener Zeit, aus denen Schneider-Lastin zitierte. Die Stimmung war aufgeheizt, die Äusserungen und Kommentare drastisch. Oft wurden die Referenten, Johannes Eck auf katholischer und der Basler Reformator Johannes Oekolampad auf reformierter Seite anstelle von Huldrych Zwingli, der aus Sicherheitsgründen Zürich nicht verlassen wollte, von Gelächter und lautem Gemurmel übertönt.

Disputation statt Dialog als politisches Machtinstrument

Dass es an der Disputation um Macht und politische Interessen anstatt um Dialog und Verständigung zwischen verschiedenen Glaubensauffassungen ging, machte Dr. theol. Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern, in seinem Referat «Disputation statt Dialog» klar. In einer Zeit, in der die Kirchen noch die mit Abstand grössten und wertvollsten Gebäude in der Schweiz waren und der Glaube den Alltag und die politischen Machtverhältnisse beeinflusste, versuchten die politischen Vertreter aus eigenen Interessen die aufbrechende neue Glaubensbewegung unter Kontrolle zu bringen und Konflikte zu verhindern. Aber eine Disputation sei kein Dialog mit Aussicht auf Konsens, betonte Ries, sondern schon von der Anlage her ein Wettkampf, der nur Sieger und Verlierer kenne. Das, was im akademischen Betrieb gang und gäbe und klar geregelt war, wurde nun auf politische Interessen ausgerichtet. So wurde die Diskussion zwar von Theologen geführt, die Bedingungen und der Ablauf wurden aber von den politischen Vertretern der eidgenössischen Stände in langwierigen Verhandlungen festgelegt. Neu war, dass sie in deutscher nicht in lateinischer Sprache geführt wurde. Auch der Ort, das streng altgläubige Baden, das auch Tagungsort für die Tagsatzung war, wurde von den Ständevertretern festgelegt. Der altgläubige Ort war indes für Huldrych Zwingli zu unsicher, so dass er nur durch schriftliche Antworten, innerhalb von jeweils einer Nacht überbracht von seinem Kurier Thomas Platter, mitwirken konnte.
Ries machte deutlich, warum eine Disputation, von der niemand als Sieger heimgehen konnte, auch nicht die politischen Vertreter, in der Auseinandersetzung mit der neuen Glaubensrichtung nur zum Scheitern führen konnte. Es ging um Inhalte und höchste Autoritäten wie die Heilige Schrift oder die Überlieferung der Kirche, aber nicht um das, was den Glauben damals wie heute wirklich ausmacht: die religiösen Erfahrungen im echten Leben der Menschen, ihre Hoffnungen und Ängste. Baden liess die konfessionelle Trennung der eidgenössischen Stände unausweichlich werden, weil sich Einheit und verbindende Wahrheit nur im aufrichtigen und das Gegenüber respektierenden Dialog finden lassen, erklärte Ries und kam zum Schluss: «Der Glaube lässt sich nicht in der Überlieferung und der akademischen Lehre finden, sondern in der Freude und Hoffnung, in der Trauer und Angst der Menschen einer jeden Zeit.»

Dialog auf Augenhöhe und konstruktive Zusammenarbeit

Dass es heute im Dialog zwischen den Konfessionen nur um respektvolle, auf Verständigung ausgerichtete Gespräche gehen kann, bestätigte auch der Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau, Luc Humbel, in seinem Grusswort. Wenn Sieger und Verlierer vorher schon feststehen, könne es keine Verständigung geben. An der Basis der Kirchen gebe es «das Suchen nach Lösungen, um Einheit in Verschiedenheit leben zu können». «Hier gibt es Menschen, die glaubwürdig und aufrichtig den Dialog, und nicht die inszenierte Disputation mit vorbestimmtem Ausgang suchen.»
Der Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche Aargau, Dr. theol. Christoph Weber-Berg, betonte die gute Zusammenarbeit der Kirchen im Kanton Aargau, die heute trotz aller Unterschiede zwischen den Konfessionen praktiziert werde. Wenn man die Disputation in Baden vor 489 Jahren als Ausgangsmarke für viele Differenzen und Kränkungen zwischen verschiedenen Glaubensformen betrachten müsse, so sei die heute ganz im ökumenischen Geist gefeierte Edition des Protokolls der Disputation eine ganz andere Wegmarke auf dem langen Weg zur Aufarbeitung und Versöhnung zwischen den Konfessionen.
Hanspeter Neuhaus von der Kirchenpflege der Römisch-Katholischen Pfarrei Baden, die den Anlass ausgerichtet hatte, führte durch die Feier, die von Orgelmusik der Renaissance umrahmt wurde. Er lud auch zum anschliessenden Apéro ein, der auf seine Art ein wenig zur weiteren ökumenischen Annäherung der verschiedenen Konfessionen zumindest im Aargau beitrug.

verfasst von
Frank Worbs, Informationsdienst der Reformierten Landeskirche Aargau