Zentrales Thema der Synode der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz vom 9. bis 11. Juni 2024 war die geplante Missbrauchsstudie. Einig war sich die Synode, dass Missbrauch in der Reformierten Kirche keinen Platz habe. Wie das gelingen kann, darüber gingen die Meinungen auseinander. Die vom Rat vorgeschlagene Dunkelfeldstudie wurde abgelehnt. Verstärkte Prävention, die Schaffung einer externe Kontaktstelle für Betroffene, sowie die Einsetzung einer Arbeitsgruppe wurden beschlossen.
Der Rat der EKS legte der Synode zum Thema Missbrauch drei Anträge vor: (1) einen Antrag zur Kenntnisnahme der Arbeitspakete, (2) einen zur Bewilligung der Dunkelfeldstudie und (3) einen zur Einrichtung eines Beteiligtenbeirats.
Vorgeschlagene Dunkelfeldstudie
Die beantragte Dunkelfeldstudie beinhaltete die Befragung von 20 000 zufällig ausgewählte Personen in der gesamten Schweiz zu ihren Missbrauchserfahrungen – unabhängig von ihrer Konfession und unabhängig davon, ob der Missbrauch im kirchlichen Kontext oder in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld stattgefunden hat. Die Studie mit einem Kostenrahmen von 1.6 Millionen Franken sollte an die Universität Luzern und das Meinungsforschungsinstitut Demoscope vergeben werden. Die Ergebnisse sollten so eine gesamtgesellschaftliche Aussage zum Missbrauch ermöglichen.
Lange Diskussion – viel Kritik
Zustimmung erhielt diese Studie nur aus der Bündner Kirche und der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn. Ein kleinerer Änderungsantrag kam aus dem Kanton Waadt. Umfangreiche Gegenanträge – zu allen drei Anträgen des Rates – reichten dreizehn Kantonalkirchen (AR/AI, BL, LU, NW, OW, SG, SZ, TG, TI, UR, ZG, ZH) gemeinsam ein. Kritikpunkte waren, dass eine gesamtgesellschaftliche Studie nicht Aufgabe der EKS, sondern einer unabhängigen Instanz, nämlich des Bundes, sei; dass die Vergabe einer 1.6 Millionen Franken teuren Studie ohne vorgängige Ausschreibung und Vergleich verschiedener Anbieter intransparent sei; dass die Gesamtkosten zu hoch seien; und dass man sich ein partizipativeres Vorgehen gewünscht hätte.
Klarer Konsens war jedoch, dass beim Thema Missbrauch hingeschaut werden soll: «Die wichtigste Frage muss sein: Was hilft Betroffenen? Ich glaube nicht, dass es das Erheben von Zahlen und Daten ist.», sagte Martina Tapernoux (Appenzell). Am ersten Tag der Synode führten die zeitintensiven Diskussionen dazu, dass die Abstimmungen auf den nächsten Tag verschoben werden mussten.
Beschlüsse
In den Abstimmungen am Folgetag wurde mit 32 zu 24 Stimmen und fünf Enthaltungen der Gegenantrag der dreizehn Kantonalkirchen angenommen und die Dunkelfeldstudie abgelehnt. Mit dem bewilligten Gegenantrag wurde der Rat der EKS beauftragt, sich beim Bund für eine gesamtgesellschaftliche Dunkelfeldstudie auf nationaler Ebene einzusetzen.
Auch bei den anderen beiden Anträgen stimmten die Synodalen den Gegenvorschlägen der dreizehn Kantonalkirchen zu: Die Kenntnisnahme der Arbeitspakete wurde ergänzt durch den Auftrag an den Rat EKS, die Präventionsarbeit in den Mitgliedkirchen zu fördern und eine externe nationale Kontaktstelle für Betroffene zu schaffen.
Auch der Antrag des Rats für einen Beteiligtenbeirat aus kirchenpolitischen Verantwortungsträgern und -trägerinnen, den Netzwerken der Fachmitarbeitenden der Mitgliedkirchen sowie den Selbsthilfeorganisationen erschien den Synodalen zu unausgegoren, sodass sie dem Gegenvorschlag der dreizehn Kantonalkirchen folgten und für die Einsetzung einer Arbeitsgruppe stimmte, die prüfen soll, ob (und wie) eine kircheninternen Studie zu sexuellem Missbrauch durchgeführt werden soll und welche weiteren Massnahmen zum Schutz der persönlichen Integrität nötig sind. Der weitere Prozess soll so breiter – auch in den Landeskirchen – abgestützt werden.
Fazit: Der Mensch im Mittelpunkt, nicht anonyme Statistikzahlen!
Mit dem Einsatz der EKS für die Durchführung einer Dunkelfeldstudie durch den Bund kann das Thema Missbrauch von unabhängiger Stelle wirklich auf nationaler Ebene gesamtgesellschaftlich aufgearbeitet werden. Kirchliche Ressourcen können so zielgerichteter im innerkirchlichen Bereich eingesetzt werden: die Arbeitsgruppe wird prüfen, welche Massnahmen dafür zielführend und hilfreich sind. Durch die Schaffung einer externen nationalen Kontaktstelle finden Betroffene schnell und unkompliziert eine unabhängige Kontaktperson. So können die Anliegen der Betroffenen aufgegriffen und ihnen schnell und professionell geholfen werden, was mit anonym erhobenen Statistikzahlen nicht möglich wäre.