Neue Thesen für das Evangelium: «Wir sind Gott nicht gleichgültig» und «Anleitung zur Freiheit»

Gesprächssynode vom 20. Januar

Veröffentlicht am 21. Januar 2016

Medienmitteilung – «Gleichgültigkeit ist das grösste Übel – wir sind Gott nicht gleichgültig.» war eine der 30 neuen «Thesen für das Evangelium», die die Gesprächssynode der Reformierten Landeskirche Aargau am Mittwoch im reformierten Kirchgemeindehaus Lenzburg formuliert hat.

114 Synodale und 10 Gäste diskutierten im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum über neue Thesen für den christlichen Glauben, die aktuell und allgemein verständlich sein sollen. Einmal pro Amtsperiode kommen die Aargauer Synodalen zu einer Gesprächssynode zusammen, um ein zentrales oder zukunftsträchtiges Thema der Kirche zu diskutieren.

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Gesprächssynode 20. Januar 2016 im Kirchgemeindehaus Lenzburg Mirjam Stutz, Lenzburg

Nach einem Gottesdienst und einem kurzen Referat von Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg zur «Reformation damals und heute» wurden am Morgen und am Nachmittag in jeweils 15 Gruppen ausgewählte Themen bzw. Fragen bearbeitet. Jedes Thema wurde zu einer These verdichtet, so dass am Schluss 30 aktuelle Thesen zum Evangelium und dem christlichen Glauben von den Gruppen vorgestellt wurden. Synodepräsident Roland Frauchiger ermunterte in seiner Begrüssung die Synodalen bei der Formulierung der Thesen mutig zu sein: Fragen stellen sei heute üblich, Antworten geben weniger. Thesen aufzustellen brauche Mut. An diesem Tag sollten die Synodalen mit dem Herzen diskutieren und nicht nur mit dem Kopf.
Als Beispiel erläuterte Roland Frauchiger seine Gedanken zur Frage: «Was verändert Jesus in Deinem Leben?» Busse beziehungsweise die Umkehr im Leben müssten gemäss Frauchiger als fünftes «Solus» bzw. Kernpunkt der Reformation aufgenommen werden. Für ihn habe der Glaube eine tiefgreifende Veränderung in seinem Leben bewirkt: die Entscheidung, Gott als seinem Schöpfer zu vertrauen. Daraus leitete Frauchiger die These ab: «Jesus macht mich frei und gibt mir Hoffnung und meinem Leben Sinn. Im Vertrauen auf ihn kann ich Verantwortung übernehmen und mutig Schritte vorwärts gehen.»

Wegmarken und Grundgedanken der Reformation

Kirchenratspräsident Dr. theol. Christoph Weber-Berg erläuterte einige Wegmarken und Grundgedanken der Reformation: Vom Anschlag der 95 Thesen von Martin Luther in Wittenberg 1517 über das Wirken Huldrych Zwinglis in Zürich bis zur Einführung der Reformation durch die Berner in den Aargauer Gemeinden 1528. Die Thesen Luthers erscheinen aus heutiger Sicht sehr katholisch, gar nicht so revolutionär oder reformatorisch, wie man vielleicht denkt. Die Autorität des Papstes wird z.B. nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sein Reichtum hingegen schon. Im Zentrum stand Luthers Kampf gegen den Ablasshandel, mit dem u.a. der Bau des Petersdoms im Vatikan finanziert werden sollte. Mit dem Kauf von Ablassbriefen sollte «die voraussichtliche Verweildauer im Fegefeuer verringert werden». Der Ablass, betonte Luther, sei eine freiwillige Angelegenheit und dürfe die Familien nicht ruinieren. Gebete und das Vertrauen auf Gott seien wichtiger für das Schicksal im Jenseits als der Kauf von Ablassbriefen.
Auch Zwingli hatte den Ablasshandel bereits unabhängig von Luther als «Betrug und unwahren Schein» bezeichnet und begonnen, die Bibel nicht in Latein sondern in der Sprache des Volkes auszulegen. Auch er legte vier «Soli» seiner Reformation zugrunde: Allein Christus, allein die Heilige Schrift, allein durch Gnade, allein durch den Glauben. 1523 bestätigte die Zürcher Regierung die neuen Lehren Zwinglis und führte damit die Reformation ein, 1526 fand im Aargauer Baden eine wichtige Disputation zwischen den «Alt- und Neugläubigen» statt. Und nach der Berner Disputation 1528 wurde die Reformation im gesamten Berner Hoheitsgebiet, also auch im Berner Aargau, eingeführt.
1531, als Zwingli in der Schlacht von Kappel fiel und die Grundlage für die konfessionelle Aufteilung der Schweiz gelegte wurde, wurde auch die erste deutsche Übersetzung der gesamten Bibel in Zürich gedruckt und verbreitet – das vielleicht wichtigste Ereignis für das grundlegende Anliegen der Reformatoren: Die Besinnung auf das Evangelium, auf das Wort Gottes in der Bibel. Denn jeder Christ sollte das Wort Gottes lesen und verstehen können. Dieser Auftrag der Kirche sei heute aktueller denn je, betonte Weber-Berg: Das Evangelium in einer Sprache zu verkünden, die jeder Mensch auch heute noch versteht.
Während die ursprüngliche Reformation eine unglaublich emanzipatorische Kraft hatte, die aus vielen mittelalterlichen Zwängen befreite, werde Religion heute – entgegen ihrem eigentlichen Sinn – von vielen Menschen als einengend empfunden. Weber-Berg schloss im Blick auf diese Entwicklung mit seiner eigenen These zur Grundaussage der Reformation ab: «Gott glaubt an dich, du bist frei.»

Auf dem Weg zu 40 nationalen Thesen

Bettina Meier, Vizepräsidentin der Synode, machte sich darüber Gedanken, was ein Zitat aus dem Buch Prediger «Wirf Dein Brot ins Wasser» bedeuten könnte. Was nach einer Aufforderung zur Verschwendung von Lebensmitteln klinge, sei eigentlich die Ermunterung, grosszügig und nicht berechnend zu sein und Unsicherheiten auszuhalten, wenn man sich für etwas einsetzt. Daraus leitete sie die These ab: «Mit Gott als meine Versicherung kann ich ein gebender, mutiger und altruistischer Mensch sein.»
In der anschliessenden Gruppenarbeit waren von 15 angebotenen Themen folgende vier als erstes «ausverkauft»: Wogegen muss man heute im Namen des Evangeliums Widerstand leisten? Gibt es mehr als einen alleinigen Gott? Die Auferstehung – was ist das? Beschleunigtes Leben, permanentes Hasten - wo sind die Ruhetage zum Durchatmen? Dazu wurden Thesen erarbeitet wie: «Wir leisten Widerstand gegen die Aufweichung der Menschenrechte und gegen die Verherrlichung von Gier und den Raubbau an der Natur.» «Anleitung zur Freiheit: Ich sage Nein. Ich ruhe. Ich nehme mir die Zeit gelassen. Ich darf einfach sein.» «Gott tritt mit mir durch die Bibel in einen Dialog. Ich lerne ihn und mich kennen. Das hilft mir zu leben.»
Für die Gruppenarbeiten wurden 24 der insgesamt 40 Fragen ausgewählt, die ursprünglich von französischen protestantischen Kirchen zum Jubiläum 500 Jahre Reformation entwickelt wurden. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, SEK, hatte diese Fragen aufgenommen und in den Schweizer Kirchen einen Prozess zur Entwicklung neuer Thesen zum Evangelium in Gang gesetzt. Über die Auswahl der 24 Fragen hatten die Synodalen an ihrer letzten Synodesitzung im November 2015 abgestimmt. Die 6 Themen mit den meisten Nennungen wurden sowohl am Morgen als auch am Nachmittag angeboten, so dass aus den 24 Fragen 30 Thesen resultierten. Die 30 Thesen werden nun dem SEK weitergeleitet als Aargauer Beitrag für die Erarbeitung von 40 Thesen der Schweizer reformierten Kirchen für das Evangelium.

verfasst von
ria / F. Worbs