Ziel der Veranstaltung «Greise oder Weise? Das hohe Alter in unserer Gesellschaft» war, wider alle Vorurteile auf das Thema «Hochaltrigkeit» zu blicken. Den Organisatoren, Pro Senectute Aargau, Reformierte und Römisch-Katholische Landeskirche Aargau sowie dem Departement Gesundheit und Soziales gelang dieser Ansatz. Im Aarauer Kultur- und Kongresshaus loteten Fachleute am 1. Oktober die Chancen und Herausforderungen des hohen Alters und vor 350 Gästen anregend aus.
Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Bern, plädierte in ihrem Referat «Das hohe Alter – oder die Kunst in Würde mit Bürden umzugehen» für ein Altern als Chance für alle. Ausgehend von der Tatsache, dass das hohe Alter «verlustreich, weiblich, variantenreich und wenig erforscht» ist, skizzierte sie gesellschaftliche Herausforderungen im Zusammenhang mit Hochaltrigkeit. Gleichzeitig zeigte sie Möglichkeiten auf, wie der einzelne und die Gesellschaft mit dem hohen Alter umgehen können, damit es zum
gesamtgesellschaftlichen Gewinn werden kann.
Handlungsbedarf sieht Pasqualina Perrig-Chiello in drei Feldern: Der Generativität, also in der Verantwortung auch für die nachfolgenden Generationen, im Umgang mit dem Thema Einsamkeit und in der Herausforderung «Multimorbidität», sprich den komplexen Mehrfacherkrankungen älterer Menschen und dem daraus resultierenden Pflege- und Betreuungsaufwand für Angehörige und Fachkräfte. «Neues für das alte Alter», ist nach Ansicht von Pasqualina Perrig-Chiello gefragt oder wie es Stephan Campi, Generalsekretär im Departement Gesundheit und Soziales in seinem Grusswort formulierte: «Eine junge Alterspolitik».
Existenz ohne Funktion geht nicht
Was trotz Einschränkungen auch jenseits von 80, 90 Lebensjahren zum Wohlbefinden beiträgt zeigte die Referentin aufgrund einer Befragung
hochaltriger Menschen in über 17 Ländern auf. Angeführt wird diese Zufriedenheits-Hitparade von der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung,
gefolgt von Gesundheit, sozialen Beziehungen, finanziellen Mitteln und Respekt, Anerkennung. Damit diese Voraussetzungen möglichst lange
gegeben sind, muss der hochaltrige Mensch aktiv und neugierig sein, sich vielfältig stimulieren lassen, Selbstverantwortung übernehmen und mit
sich selber und der Umwelt versöhnt den Alltag meistern.
Zentral dabei ist nach Ansicht von Perrig-Chiello, dass auch Hochaltrige eine Funktion in dieser Gesellschaft haben und einen Sinn in ihrem Leben sehen, oder wie die Referentin Friedrich Nietzsche zitierte: «Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie». Sie zitierte auch ausführlich aus den Kolumnen des hochaltrigen reformierten Pfarrers Otto Streckeisen: «Menschliche Reife besteht darin, dass man mit Freude Hilfe leisten, aber auch Hilfe annehmen kann».
Cool sein ist nicht das Ziel
Nach einem klangvollen Intermezzo, bei dem das gesamte Publikum, stehend, unter Leitung von René Dublanc ein paar Volkslieder aus dem
neuen Liederbuch «Alperose» sang, rief Beat Waldmeier, Geschäftsführer von Pro Senectute Aargau, die Gäste zum abschliessenden Podium auf die
Bühne.
Sabine Kuster moderierte den Abschluss der Veranstaltung zum internationalen «Tag der älteren Menschen». Die Redaktorin der Aargauer Zeitung führte knackig durch den kurzweiligen Austausch mit der Referentin und Diana Schramek, Leiterin kantonale Fachstelle Alter, Ruth Blum vom Seniorenrat Baden, Franz Eberle vom Seniorenrat Bad Zurzach und Heimseelsorger Thomas Jenelten. Die Runde bestätige das bisher Gehörte und bekräftige den Wunsch nach einem aktiven Altern im Sinne der zurzeit laufenden Kampagne zur Hochaltrigkeit: «Alles hat seine Zeit».
Franz Eberle: «Es gilt, jeweils das Beste aus jedem Alter zu machen. «Greise» mache uns die leistungsorientierte Gesellschaft. «Weise» sind meiner Meinung nach jene, die sich auch im Alter nicht nur auf sich selbst zurückziehen, sondern sich in der Gesellschaft nützlich machen.»
Daran anknüpfend forderte Pasqualina Perrig-Chiello: «Wir brauchen Vorbilder, die uns ein gutes hohes Altern lehren». Was schliesslich im
Aufruf mündete, das Potential der älteren Menschen besser zu fördern. Nicht die Defizite sollen im Vordergrund stehen, sondern Angebote, die
lehren, alt zu werden.