Kirchenleitungen ziehen in Chur nach drei Jahren Wartenseevereinbarung Bilanz zum grenzüberschreitenden freien Stellenmarkt

Veröffentlicht am 14. Februar 2012

Am 4. Februar, trafen sich Delegationen von fünf Schweizer Landeskirchen mit der Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland zum zweiten Nachfolgetreffen nach der Unterzeichnung der sogenannten «Wartenseevereinbarung» vom August 2008. Alle zwei Jahre treffen sich die beteiligten Kirchen, um über die Erfahrungen mit dem grenzüberschreitenden Austausch und den Bewerbungen von Pfarrerinnen und Pfarrern zu sprechen.

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Treffen der Ev. Kirche im Rheinland mit Schweizer Kirchen in Chur am 4. Feburar 2012 Rüdiger Döls

Die Schweizer Landeskirchen der Kantone Aargau, Graubünden und St. Gallen hatten 2008 mit der Ev. Kirche im Rheinland vereinbart, dass deren Kandidatinnen und Kandidaten sich nicht nur auf dem Schweiz. Pfarrstellenmarkt frei bewerben, sondern auch in die Rheinische Kirche wieder zurückkehren können und dass sie ihre dortigen Ordinations- und Bewerbungsrechte behalten können. Gleichzeitig öffnete sich die Rheinische Kirche auch für Schweizer Pfarrerinnen und Pfarrer, die befristete Pfarrstellen in Deutschland (eine Übernahme in das deutsche Beamtenverhältnis ist nicht möglich) übernehmen möchten.

Die Berichte der anwesenden Kantonalkirchen zeigten deutlich, dass der Zustrom von Theologinnen und Theologen aus dem Rheinland zwar immer noch stark ist, im Laufe des letzten Jahres aber leicht abgenommen hat und sich vor allem in die Ostschweiz, insbesondere in die St. Galler und die
Bündner Kirche verlagert hat. 77 Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem Rheinland sind inzwischen in Schweizer Kirchen tätig, erklärten die Mitglieder der Rheinischen Kirchenleitung, Oberkirchenrat Manfred Rekowski, zuständig für Personelles, und Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, zuständig für Ökumene und Kirchenbeziehungen. Die ersten, allerdings nur wenige, sind auch bereits wieder in die Rheinische Kirche zurückgekehrt. Die meisten anderen, betonte Kirchenrat Volker Lehnert, äusserten sich begeistert über die Arbeitsbedingungen in den Schweizer Kirchgemeinden und betrachteten die Auslandstätigkeit keineswegs nur als Intermezzo bis zu einer Pfarrstelle in Deutschland.

12 Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem Rheinland sind auf Pfarrstellen der Reformierten Landeskirche Aargau gewählt, berichtete Kirchenratspräsidentin Claudia Bandixen, und erwähnte speziell die Mundartkurse für deutsche Mitarbeitende, die sehr zur guten Integration beigetragen hätten. Der Zustrom aus dem Rheinland hätte aber im vergangenen Jahr spürbar nachgelassen, ergänzte der für Pfarrstellen zuständige Leiter Theologie und Recht, Beat Huwyler. Bereits jetzt können nicht mehr alle Aargauer Pfarrstellen besetzt werden. Die weitaus grösste Zahl von Theologinnen und Theologen aus dem Rheinland ist aber in der Kirche Graubünden tätig, wo sie fast 60% aller Pfarrstellen besetzen, erklärte Pfr. Thomas Gottschall, Kirchenrat und Dekan der
Bündner Pfarrerschaft.

Einhellig wurde festgestellt, dass die 2008 avisierte Gegenbewegung von der Schweiz in das Rheinland praktisch nicht stattfindet: Bisher haben
sich keine Schweizer Pfarrerinnen und Pfarrer auf die doch gut 2000 Pfarrstellen im Rheinland beworben. Nur im Weiterbildungsbereich gibt es auch ein deutliches Schweizer Interesse am vielfältigen Bildungsprogramm für kirchliche Mitarbeitende der Rheinländischen Kirche.

In Chur waren zum ersten Mal auch zwei weitere Kantonalkirchen vertreten mit Michel Müller, Kirchenratspräsident der Zürcher Landeskirche und
Präsident des Konkordats der Deutschschweizer Kirchen für die Aus- und Weiterbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer, und Verena Enzler, Präsidentin der Solothurner Kirche. In diesem erweiterten Kreis wurden nach den guten Erfahrungen der ersten Jahren Perspektiven für eine Erweiterung und Weiterentwicklung der ursprünglich sehr pragmatisch angelegten Wartenseevereinbarung entwickelt. So wird dem Konkordat der Deutschschweizer Kirchen für die Aus- und Weiterbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer beantragt, dass dieses anstelle der drei einzelnen Kantonalkirchen die Wartenseevereinbarung übernehmen und damit offizieller Verhandlungspartner der Rheinländer Kirche werden soll.
Damit würde die Gültigkeit des grössten Teils der Wartenseevereinbarung (abgesehen vom Austausch im Weiterbildungsbereich) auf alle
Konkordatskirchen ausgedehnt, die dann ebenfalls von dieser Gegenseitigkeit profitieren könnten.

Dabei wurde aber nicht nur über den Austausch im Bereich von Pfarrstellen gesprochen sondern auch auf viel grundsätzlicher über die ekklesiologische Bedeutung dieser gegenseitigen Anerkennung auf der Basis der Leuenberger Konkordie. Durch die faktische gegenseitige Anerkennung der Ausbildungen und Ordinationen der beteiligten Kirchen setzt die Wartenseevereinbarung ganz praktisch die in der Leuenberger Konkordie festgehaltene Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft protestantischer Kirchen um («die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente») und zeigt Perspektiven darüber hinaus auf.

Eine – noch sehr weite – Perspektive wäre die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Stellenmarktes für den deutschsprachigen
protestantischen Raum, der die Attraktivität des Pfarramtes – speziell im Blick auf den fehlenden Nachwuchs – deutlich steigern könnte. Die
Möglichkeit, als ordinierter Pfarrer oder ordinierte Pfarrerin in jeder deutschsprachigen Kirche in Deutschland, Schweiz und vielleicht Österreich eine Pfarrstelle übernehmen zu können, könnte diesen Beruf für junge Menschen mit einem weiten Horizont interessanter machen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, zumal die deutschen Kirchen untereinander den Austausch kirchlichen Personals viel restriktiver handhaben als die Schweizer und die Rheinländische Kirche. Die Richtung aber ist gewiesen, und die Wartenseevereinbarung ein Schritt dahin. Darüber waren sich die Kirchenvertretungen in Chur einig. Das nächste Treffen, vielleicht bereits in neuer Zusammensetzung, wird 2014 stattfinden.

verfasst von
Frank Worbs