Medienmitteilung – An der Fachtagung «Atemlos – Atemnot – Angst» im Rahmen von Palliative Care am 11. Juni in Aarau, veranstaltet von der Reformierten Landeskirche Aargau und Palliative Aargau in Zusammenarbeit mit der Klinik Barmelweid und der Lungenliga, kamen alle Aspekte der medikamentösen, physiotherapeutischen und psychotherapeutischen Behandlung und der seelsorgerlichen Betreuung zur Sprache.
Die Tagung zeichnete sich durch die hohe Kompetenz der Referentinnen und Referenten und der insgesamt 200 Teilnehmenden aus Medizin, Pflege, Seelsorge, Physiotherapie und Atemtherapie aus. Das gemeinsame Auftreten zeigte deutlich, dass diese Disziplinen ein tragendes Netzwerk im heutigen Gesundheitswesen bilden.
Dr. med. Razvan Popescu begrüsste im Namen von Palliative Aargau die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und lobte die Zusammenarbeit der verschiedenen fachlicher Disziplinen im Kanton Aargau im Bereich Palliative Care. Dr. theol. Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche Aargau, hob erfreut hervor, dass seit der jüngsten Entscheidung der römisch-katholischen Synode am Mittwoch die Aargauer Landeskirchen (reformiert, römisch-katholisch und christkatholisch) ihre Kräfte in Zukunft noch verbindlicher in der Zusammenarbeit mit den Fachleuten im Auftrag an den Kranken einbringen werden. So entstehe ein immer weiteres und tragendes Netzwerk im heutigen Gesundheitswesen. Er wies darauf hin, dass in der biblischen Schöpfungsgeschichte dem Menschen der Atem von Gott als Zeichen des Lebens eingeblasen wurde. Deshalb müsse dieser Kostbarkeit in der gemeinsamen Arbeit viel Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gegeben werden: «Jeder Atemzug und jedes Ausatmen ist ein Teil des geschenkten Lebens, das wir gerade leben. Und ein Atemzug wird einmal unser letzter sein.»
Hausarzt Dr. Markus Denger, Rheinfelden, Vorstandsmitglied des Vereins Hospiz Aargau, erklärte zunächst den Begriff, um den es gehen sollte: «Atemnot ist primär ein Symptom und keine Krankheit, und sie ist das, was der Patient sagt.» Bedrängung, Enge beim Atmen löse Stress und dieser wiederum die Angst aus, die oft schlimmer sei, als die Atemnot selbst. An praktischen Beispielen wie verschiedenen Medikationen, Lagerung, Luftzufuhr und Kühlung, Betreuung der Angehörigen zeigte er auf, wie das Sterben zuhause durch die Palliative Angebote immer besser ermöglicht werde und deshalb auch immer mehr erwünscht sei. Er appellierte deshalb an die politisch Verantwortlichen, hier nicht sparsam zu sein und bezeichnete Palliative Care als «need to have».
Der Pneumologe Dr. Martin Frey, Chefarzt in der Klinik Barmelweid, zeigte sich beeindruckt von der Interprofessionalität dieser Tagung, die für die Zukunft im Gesundheitsbereich unverzichtbar sei. Atemnot allein, in der Sprache des Patienten «Schwere auf der Brust» oder «Lufthunger», ermögliche noch keine Diagnose, da die Atemnot subjektiv und nur schlecht messbar sei. Oft sei sie körperlich und seelisch bedingt, lebensbedrohlich aber auch harmlos. Bei COPD (chronic obstructive pulmonary disease) sei eine saubere medizinische Diagnostik für eine gezielte ganzheitliche Behandlung Voraussetzung, um im grossen Therapieangebot das Richtige zu wählen. Die das Sterben erleichternde palliative Atemnottherapie sei heute auch im nicht medikamentösen Bereich mit hoher menschlicher und fachlicher Kompetenz gut ausgebaut.
Sichtlich bewegt verfolgten die Gäste ein Gespräch zwischen der Spitalseelsorgerin Karin Klemm vom Kantonsspital Baden mit einer Mutter, die zwei erwachsene Kinder an Cystischer Fibrose verlor. In jeder gesundheitlichen Einschränkung zeige sich ein tragendes Netz von Freunden, Ärzten, Pflegenden und Hilfsorganisationen als grösstes Geschenk berichtete die Mutter. Dadurch könne dem Tod eine kostbare Lebenszeit abgetrotzt werden.
Zur Entspannung führte die Atemtherapeutin Ursula Schelbert die Teilnehmenden durch eine Atementspannungsübung. Den Atem zulassen, wahrnehmen, wieder gehen lassen – das erfüllte sichtbar und hörbar den Saal.
Dr. Gabriela Popescu, Kompetenzzentrum Palliative Care in der Klinik Hirslanden, sprach die Multidimensionalität der Atemnot an. Der Grund könne in einer körperlichen, psychologischen, sozialen oder umweltbedingten Situation liegen, die oft verborgen bleibe und sich nur symptomhaft zeige. Weil niemand den Patienten versteht, reagiert er mit Rückzug, Scham, Müdigkeit und Vereinsamung. Die plötzliche, episodische Angst und Atemnot sei für Angehörige sehr schwierig. Sie sehen nichts, möchten aber verstehen und die drohende Erstickung lindern. Auch Ärzte und Pflegende müssten lernen, mit ihrer eigenen Angst umzugehen, um dann auf Patienten und Angehörige eingehen zu können. Neben der medikamentösen Behandlung dürften deshalb die physiotherapeutische (z.B. Atemtherapie) und psychotherapeutische Versorgung nicht zu kurz kommen. Grosse Beachtung sollte der seelsorgerlichen Betreuung geschenkt werden, besonders auch im Blick auf die mitleidenden Angehörigen.
Regina Schmid von der Lungenliga Aarau gab einen anschaulichen Einblick in ihren Arbeitsbereich, zu dem Beratung und Betreuung mit einer grossen Anzahl von Hilfsgeräten für den Alltag gehört. Auf der manuell-praktischen Seite erklärte Henri Emery aus Bad Zurzach die physiotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten bis hin zum Singen, um «Luft zu verschaffen».
Prof. Dr. Roland von Känel, Klinik Barmelweid, erläuterte die komplexen Zusammenhänge von Atemnot und Angst in der psychosomatischen Medizin, die biologische, psychologische, verhaltensrelevante und soziale Faktoren integriere. «An Sorgen ersticken, bis zum letzten Atemzug kämpfen, etwas schnürt die Kehle zu, da stockt der Atem» seien Metaphern, die es zu ergründen gelte. Das Angsterleben, die Panik mit Atemnot müsse als dynamischer Prozess verstanden werden, der ein weites Feld mit vielen therapeutischen, heilenden und ermutigenden Zielen und Angeboten öffne.
Die Tagung schloss mit dem Referat von Pfrn. Dr. theol. Karin Tschanz über die existenziellen, religiösen und spirituellen Begleitungsangebote der reformierten Kirche. Sie zeigte den Zusammenhang von Atem, Leben, Geist und Seele in verschiedenen Kulturen, aber auch die atemraubende Angst vor Sterben und Tod auf. Oft drängen sich erst dann existenzielle Fragen auf: «Was kommt nach dem Tod, was darf ich hoffen, worauf kann ich mich verlassen?» Der Ausbildungslehrgang in Palliative und Spiritual Care (www.palliative-begleitung.ch) bilde Menschen aus, die überkonfessionell, respektvoll, Kranke und Sterbende und ihre Angehörigen begleiten. Sie wies auf die Kraft des Betens als Atem der Seele hin, um innere Ruhe und Zuversicht zu finden.
Tagungsleiter Jürg Hochuli von der Reformierten Landeskirche ermutigte immer wieder zu Durchschnauf-Pausen zwischen den geballten Informationen und dankte dem Klarinettisten Kurt Jufer für seine beschwingten Einlagen.