Medienmitteilung – Die Reformierte Landeskirche Aargau lud am 11. September zu einem Vortrag mit Prof. Dr. med. Gian Domenico Borasio, Inhaber des Lehrstuhls für Palliative Medizin und Chefarzt für Palliative Medizin am Universitätsspital Lausanne, ein. Dies geschah im Rahmen der Ausbildung in Palliative und Spiritual Care, einem interdisziplinären Lehrgang für Fachpersonen und Freiwillige. Das Echo war unerwartet gross. Bei 400 Sitzplätzen im Saal des Kultur- und Kongresszentrum Aarau mussten stehen.
Mit seinem packenden Vortrag, der nicht nur das Wissen erweiterte, sondern auch die Bewusstheit des eigenen Lebens und Sterbens berührte, fesselte der international bekannte Palliative Mediziner die Zuhörenden - ohne PowerPoint dafür mit viel Humor, präzisen Analysen über das Sterben sowie Zitaten aus Philosophie, Theologie und Poesie. Der einzige Inhaber eines Lehrstuhls für palliative Medizin in der Schweiz wurde im Rahmen der interdisziplinären Lehrgänge in Palliative und Spiritual Care der Reformierten Landeskirche Aargau, von der Ausbildungsleiterin, Pfarrerin Dr. theol. Karin Tschanz, nach Aarau eingeladen.
Psychosoziale, spirituelle und seelsorgliche Begleitung als Schwerpunkt
Diese Lehrgänge haben, laut Borasio, europäisches Format. Zudem sind sie ab nächstem Jahr ein integrierter Bestandteil eines nationalen Lehrgangs. Borasio und Karin Tschanz engagieren sich gemeinsam auf nationaler Ebene im Co-Vize Präsidium des Vorstands von palliative.ch, für palliative Medizin, Pflege und Begleitung. Er bedankte sich bei der Reformierten Landeskirche Aargau dafür, dass sie den in der medizinischen Versorgung eher vernachlässigten Schwerpunkt der psychosozialen und spirituellen Begleitung ernst nimmt. Ein Angebot, das – ohne die Leistung der Medizin zu schmälern – 50 Prozent der Verantwortung am leidenden und sterbenden Menschen ausmache.
Die eigene Vergänglichkeit akzeptieren
Borasio forderte die Anwesenden auf, sich den eigenen Tod vorzustellen als sofortiges Tod-Sein, als mittelschnellen Tod (3 Jahre) oder als langsamer Tod bis hin zur Demenz. Die dritte Möglichkeit werde immer realistischer und die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit sei heute offensichtlich. Auch der Wunsch, zu Hause im Kreis der Familie zu sterben, gehe nur noch bei 10 – 20 Prozent der Menschen in Erfüllung. Die eigenen erwachsenen Kinder sind meistens zur Pflege der Alten nicht mehr bereit. Wer sich aber dieser Aufgabe stellt, erlebt eine tiefgehende Erfahrung mit der Vergänglichkeit des eigenen Lebens. Borasio betonte aus Erfahrung mit Menschen, die er begleitet: «Es ist eine einmalige Chance, von den Sterbenden das Leben zu lernen.»Er schilderte die oft radikalen Veränderungen in der Lebensperspektive von Menschen, die an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden und für die plötzlich die Zeit begrenzt ist.
Anhand einer wissenschaftlichen Studie zeigte Borasio auf, wie die beiden Werte Gesundheit und liebende Familiengemeinschaft Menschen am Lebensende beeinflussen. Von denen, die eigene Gesundheit als oberstes Ziel wählen, erleben nur 53% erfüllte Lebensqualität in einer schwerkranken Situation oder im Sterben, während Personen für die Gemeinschaft im Vordergrund steht, die lieben und geliebt werden, zu 100% Lebensqualität erleben. Christliche Nächstenliebe, so der Palliativmediziner, bedeutet immer eine Verbesserung der Lebensqualität.
Empathisches Zuhören gefragt
Die moderne Palliative Care biete viel mehr als «Morphium und Händchen halten». Sie sei der High Tech auf medizinischem Gebiet gleichwertig, betonte Borasio und müsse daher im Medizinstudium dringend als Pflichtfach eingeführt werden. Unsere Gesellschaft brauche zuhörende, empathische Ärzte und Pflegende, die sich die Frage stellen: «Ist alles sinnvoll, nur weil es machbar ist?» Wer schwerkranke Kinder begleitet, lernt Leben im geschenkten Augenblick. Er erlebt den Schmerz, die Angst, den nahen Tod und im nächsten Augenblick sind Kinder fähig, sich fröhlich ins Spiel zu vertiefen.
Mit Rosen und einem Buch zu hoffnungsorientierter Seelsorge bedankte sich Karin Tschanz bei Professor Borasio und schloss mit einem Wunsch für alle, die sich in Palliative und Spiritual Care einbringen, dass in unserer Welt «mehr geliebt, getröstet und gesegnet wird».