Medienmitteilung – «Gibt es einen Konsens über Werte, die Gewalt verhindern und zu Frieden führen?» lautete der Titel der Podiumsdiskussion, die am Freitagabend den Interdisziplinären Kongress «Gesichter der Gewalt» der Reformierten Landeskirche Aargau eröffnete. Die Diskussion mit Claudia Bandixen, Cebrail Terlemez und Hans Ulrich Gerber, die von AZ-Chefredaktor Christian Dorer moderiert wurde, zeigte: Es harzt.
Die Kirche wolle Gastgeberin für eine relevante gesellschaftliche Debatte sein, erklärte Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg vor ca. 70 Gästen im Kultur- und Kongresshaus Aarau zu Beginn. Dass diese Debatte noch lange nicht zu Ende geführt ist, zeigte der erste Abend des Kongresses über «Gesichter der Gewalt» und Ideen, wie ihr zu begegnen ist. Die Radiomoderatorin Ladina Spiess führte mit speziellen Gedanken zum Thema Gewalt durch das Programm. Vor der Podiumsdiskussion führten drei Politiker aus dem Kanton aus, wie das Thema in ihrer Partei gewichtet wird – und demonstrierten dabei eine grosse Bandbreite.
Burkart, und diese baue auf einem christlichen Wertefundament auf. Er stellte fest: «Das Volk hat das Gefühl, dass die Täter zu wenig hart angepackt werden. Ich denke auch, dass wir da Nachholbedarf haben.» Dies obwohl das Sicherheitsgefühl in der Aargauer Bevölkerung eigentlich hoch sei.
Yvonne Feri, Nationalrätin der SP, zeichnete – nicht zuletzt aufgrund ihres Engagements bei Terre des Femmes und im Frauenhaus Aargau – ein düsteres Bild. Sie ortete viel Aggression in der Gesellschaft, zwischen den Geschlechtern und unter Jugendlichen (Hooliganismus, Alkoholkonsum).
Es fehle an männlichen, emanzipierten Vorbildern für Kinder und Jugendliche. Es brauche einen Aktionsplan für die Gleichstellung von Frau und Mann, aber auch Migranten müssten gleiche Chancen in der Bildung und im Arbeitsmarkt haben.
SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner erinnerte daran, dass die Kirche ein gewaltiges Mittel hätte, um gegen Gewalt vorzugehen: die Zehn Gebote. «Wer die kennt und befolgt, braucht keine Gewalt.» Die Schweiz sei ein christliches Land, doch er erlaube sich die Frage: Wie lange noch? Er forderte: «Wir müssen als Christen für unsere Werte hinstehen und missionieren.»
Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Religion und Gewalt
Doch gibt es einen Konsens zu grundlegenden gesellschaftlichen Werten, die Gewalt verhindern können? Diese Frage stellte Christian Dorer, Chefredaktor der «Aargauer Zeitung» den drei Podiumsteilnehmern Claudia Bandixen, ehemalige Kirchenratspräsidentin der Aargauer Landeskirche und nun Präsidentin von Mission 21 in Basel, Cebrail Terlemez, Geschäftsleiter des Instituts für interkulturelle Zusammenarbeit und
Dialog in Zürich sowie Hans Ulrich Gerber, Geschäftsführer von Ifor Schweiz. Auf dem Podium zumindest schien in einigen Fragen ein Konsens zu bestehen. So waren alle drei Teilnehmer der Meinung, dass Gewalt nicht einer Glaubensgemeinschaft zugeschrieben werden kann, sondern eher
den Umständen, in denen sich ein Individuum befindet. Gerber kritisierte jedoch, dass die Kirche zu wenig Stellung beim Thema Gewalt nimmt (vor allem auch bei Kriegen wie im Irak) und sich nur mangelhaft für Gewaltfreiheit einsetzt. Bandixen sah das anders, die Kirche leiste diesbezüglich grosses Engagement, so habe man mit den Muslimen im Aargau beispielsweise jahrelang in einem Friedensprojekt kooperiert. Sie erinnerte jedoch daran, dass man der Religion zu viel in die Schuhe schiebe. DEN Muslim gebe es genauso wenig wie DEN Christen.
Terlemez wehrte Giezendanners Vorwurf ab, die Muslime wollten die Schweiz islamisieren. Diese Angstmacherei sei nicht real. «Die Muslime haben ganz existentielle Fragen: Was passiert mit meinen Kindern? Werde ich meinen Job behalten? Sie beschäftigen sich nicht mit der Übernahme der Schweiz.» Der Vorwurf Giezendanners, im Koran werde zur Machtergreifung aufgerufen, wies er ebenfalls entschieden zurück und erinnerte daran, dass solche Aussagen im historischen Kontext zu sehen sind, in dem sie geschrieben wurden. Gerber erinnerte daran, dass es immer wieder religiös begründete Gewalt gegeben habe, das grösste Unwesen habe aber in der Geschichte bisher das Christentum getrieben.
Während der Diskussion wurde mehrmals die Rolle der Medien kritisiert. Bandixen beobachtet, dass die Medien ausschliesslich negativ über Menschen
ausländischer Herkunft berichteten, was nicht hilfreich für ein friedliches Zusammenleben sei, da dies eine Kultur der Angst fördere. Die Frage von Christian Dorer, ob es mehr Repression brauche, beantworteten alle auf dem Podium mit nein und betonten eher die Prävention, während der FDP-Politiker Burkart fand, dass man die Sorgen der Bevölkerung stärker berücksichtigen müsse, auch in der Kirche gebe es hier Aufholbedarf.
Nachdem die Diskussion auch für das Publikum geöffnet worden war, kam ein weiterer Aspekt zur Sprache, der aufzeigte, wie schwierig es ist, das Thema Gewalt überhaupt einzugrenzen. So kritisierte Christian Müller von der Band Moody Tunes, die den Abend mit Musik aus der ganzen Welt
auflockerte, dass es auch eine versteckte, weitreichende Form der Gewalt gebe: «Viele Leute häufen grossen Reichtum auf Kosten anderer an. Das wird viel zu wenig thematisiert, auch auf Seiten der Kirche.» Bandixen wies diesen Vorwurf von sich, weil das ganzheitliche Wohl der Gesellschaft und der Glaube nicht auseinanderzunehmen sei, während Giezendanner gleich den Spiess umdrehte: «Seien Sie doch froh, dass es so viele reiche Leute gibt, die bezahlen die Sozialwerke und geben vielen Leuten Arbeit.» Kirchenratspräsident Christoph Weber entgegnete ihm, dass viele grosse Unternehmen nicht im Kanton Zug seien, um dort Arbeitsplätze zu schaffen oder Steuern zu zahlen.
Zum Schluss äusserten die Podiumsteilnehmer ihre Anliegen an die Politik. Terlemez wünschte sich, dass in den Diskussionen rund um Gewalt nicht Bevölkerungsgruppen diffamiert, sondern mehr differenziert werde. Gerber erinnerte daran, dass jeder Verantwortung trage und nicht nur die Politiker und zitierte Gandhi, dass man ehrlich, angstfrei, gewaltfrei und guten Willens gegenüber jedem Menschen sein müsse. Bandixen wünschte, dass Fremde nicht ständig als Bedrohung wahrgenommen werden und dass der Körper der Frau nicht als Schauplatz von Gewalt und Diskriminierung (u.a. durch Verhüllung) akzeptiert werden dürfe.
Installation der Killwanger Künsterlin Maude Vuilleumier
Drei Plakatwände führen die Gäste am Kongress, der den ganzen Samstag in fünf Referaten und drei Seminaren das Thema auffächern wird, in die Breite des Themas Gewalt ein. Sie zeigen auf, dass Gewalt im Kleinen beginnen (eine Mutter schlägt ihr Kind, weil es die kleine Schwester
geschlagen hat) und sich in einer Spirale zum Flächenbrand entwickeln kann – so wie es Mani Matter in «Ds Zündhölzli» singt – zu hören in einem gelben Telefon. Die Darstellung eines Memorys führt Begriffspaare vor, die Macht- oder Gewaltgefälle implizieren. Die Installation, die durch die Theologische Kommission der Landeskirche konzipiert wurde, kann von den Kirchgemeinden ausgeliehen werden.