Palliative Care und Begleitung wurde vor rund zwölf Jahren durch die Reformierte Landeskirche eingeführt und wird seit 2015 von allen Aargauer Landeskirchen getragen. Durch personelle Veränderungen standen Fragen nach der künftigen organisatorischen Ausrichtung an. Zudem ist seit Anfang Jahr das «Konzept Palliative Care 2022» der kantonalen Gesundheitsdirektion in Kraft. Aus diesen Gründen war es sinnvoll, Palliative Care und Begleitung evaluieren zu lassen.
Den Zuschlag für die Durchführung der Evaluation erhielt die Fachhochschule Nordwestschweiz für Soziale Arbeit. Ziel der Evaluation war einerseits strategische Fragen zu stellen: zur zukünftigen Struktur der Angebote von Palliative Care und Begleitung, zu deren Finanzierung und zur Rolle der zentralen Anlaufstelle in Aarau. Andererseits ging es darum, Fragen zur Wirkung und zum Nutzen der Angebote zu bearbeiten. Den Zuschlag für die Evaluation erhielt nach einer Offertenrunde die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie arbeitet mit der Reformierten Landeskirche bereits beim CAS «Führen in kirchlichen Kontexten» zusammen. Eher zufällig sei das Projekt auf seinem Pult gelandet, meint Roger Kirchhofer. «Abgesehen davon, dass ich Mitglied der reformierten Kirche im Kanton Luzern bin, gab es bisher keinen Bezug zur Auftraggeberin.» Mit dem Themenkreis der letzten Lebensphase kam er hingegen schon in Kontakt – über den Schwerpunkt Altern im Strafvollzug. «Die meisten meiner Projekte haben mit Menschen in einem speziellen Setting zu tun.» Mehr als ein Job Der 52-jährige Vater eines zehnjährigen Sohns machte ursprünglich eine kaufmännische Lehre im Industriesektor, hängte die Matura an und studierte anschliessend Soziologie und Politwissenschaften an der Universität Zürich. Seit 2011 ist Roger Kirchhofer am Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW in Olten tätig. Wer sich einen Überblick über seine Projekte und Publikationen verschafft, dem begegnet vor allem dem Wort «digital». Der wissenschaftliche Mitarbeiter fasst die Vielfalt seiner Arbeitsfelder so zusammen: «Es geht fast immer um das sozialwirtschaftliche Dreieck, also um Finanzierungssysteme von sozialen Leistungen. Das konkrete Themenfeld ist für mich häufig neu.» Auch beim Auftrag zu Palliative Care und Begleitung ging es für ihn nicht primär ums Thema, sondern um die Methode. «Zu meinem Glück entpuppte sich aber auch dieser Auftrag als mehr als ein Job. Denn als Soziologe will ich Menschen kennenlernen und mit ihnen übers Leben reden. Bei diesem Projekt war ein sehr aktives Zuhören gefragt: Mit dem Vis-à-vis Zeit verbringen, da sein, vertiefen, zusammen lachen.»
Viel Heiterkeit
Zwischen Januar und April 2022 wurden im Rahmen der qualitativen Evaluation von Palliative Care und Begleitung 23 Interviews mit 26 Personen geführt. Die Gespräche vor Ort oder via Zoom dauerten durchschnittlich 72 Minuten. Aus den gesamthaft knapp 28 Stunden Austausch entstanden 145 Seiten Protokolle, die dann ausgewertet wurden. Roger Kirchhofer und Mitautorin Bernadette Wüthrich haben massgeschneiderte Leitfäden für die vier angesprochenen Personenkreise entworfen: für Fachpersonen (Kanton, Politik, Arzt, Dachverband, Landeskirchen, Begleitkommission), Leitungen von Ortsgruppen (Suhrental, Windisch, Fislisbach), Freiwillige und Angehörige. «Insbesondere die Anekdoten der Freiwilligen fand ich spannend. Der Austausch mit ihnen war ergiebig und überdies gab es viele heitere Momente.»
Fokus der Analyse
Primär im Fokus der Evaluation von Palliative Care und Begleitung standen die Weiterentwicklung des Angebots auf struktureller und inhaltlicher Ebene sowie die Analyse der Dienstleistungen. «Leistungen sollen eine Wirkung erzielen», führt der Soziologe aus. In diesem Fall hat die Evaluation gezeigt, dass diese vor allem im Bereich Outcome, also bei den Effekten auf Zielgruppen, erzielt wird. Die Angehörigen sind entlastet und froh über das Angebot; die Freiwilligen berichten von einer grossen Bereicherung durch die Tätigkeit; die Ausbildung bereitet die Freiwilligen optimal auf ihre Aufgabe vor.
Mehr Öffentlichkeit
«Tatsächlich sind sich alle einig gewesen», so der Experte weiter, «dass an der Qualität der Grund- und Weiterbildung der in der Palliative Care und Begleitung Tätigen festgehalten werden muss. Auch wenn die Landeskirchen im Bereich Bildung Kooperationen eingehen.» Eine andere Schlussfolgerung betrifft die Zugänglichkeit zur Palliative Care und Begleitung: «Für Angehörige ist es nicht immer einfach, die richtige Anlaufstelle zu finden. Eine einheitliche Lösung würde das System vereinfachen.» Da das «Konzept Palliative Care 2022» des Kantons die Öffentlichkeitswirkung von Palliative Care betont, zeigt sich Roger Kirchhofer in Bezug auf dieses Anliegen zuversichtlich. Schliesslich gibt er zu bedenken: «In unserer Gesellschaft sind Tauschgeschäfte normal. Ob eine so wichtige Dienstleistung wie die Palliative Care und Begleitung von den Landeskirchen auch künftig kostenlos erbracht werden soll, ist ein diskussionswürdiger Punkt.»
Wie weiter
Der Schlussbericht der Evaluation wurde von den Kirchenräten der Aargauer Landeskirchen bereits dankbar zur Kenntnis genommen. Er half bei den Überlegungen zur Nachfolge der Bildungsverantwortlichen. Nun werden prioritär die Anregungen zur Qualitätssicherung der Arbeit in und mit den Regionalgruppen aufgearbeitet. Die ökumenische Begleitkommission hat den Entwurf eines Strategieplans für die nächsten Jahren beraten.