Medienmitteilung vom Dienstag, 30. August 2011

Proteste aus Ungarn gegen die Prostitution Minderjähriger in der Schweiz stossen auf Betroffenheit und Verständnis in Politik und Kirchen

Veröffentlicht am 30. August 2011

Medienmitteilung – Der Bischof der reformierten Kirche Ungarn, Distrikt Donau, Istvan Szabo, hat am Dienstag in Aarau den Schweizer reformierten Kirchen und politischen Vertretern ein Protestschreiben der ungarischen Kirche überreicht, in dem die ungarische Kirche die Not anspricht, die durch die immer häufigere Prostitution junger Frauen aus Ungarn in der Schweiz vornehmlich auf dem Strassenstrich und speziell durch die in der Schweiz legale Prostitution Minderjähriger verursacht wird.

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Die Medienkonferenz am 30. August in Aarau mit (v.re.): Nationalrätin Pascale Bruderer, Landammann Urs Hofmann, Staatsminister Szoltan Balog, Bischof Istvan Szabo (stehen), SEK-Ratspräsident Gottfried Locher, Kirchenratspräsidentin Claudia Bandixen, Frank Worbs Irmelin Kradolfer

Istvan Szabo und Zoltan Balog, die auf Einladung der Reformierten Landeskirche Aargau in der Schweiz weilen, wiesen an einer Medienkonferenz am Dienstag in Aarau auf das Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch hin, das auch die Schweiz im Juni 2010 offiziell unterzeichnet hat. «Trotzdem ist die Prostitution in der Schweiz immer noch ab 16 Jahren erlaubt, was vielen jungen ungarischen Frauen zum Verhängnis wird. Von diesem für uns unverständlichen rechtlichen Freiraum in der Schweiz, ist Ungarn in besonderer Weise betroffen», heisst es in dem Protestschreiben.

Die Situation ist «beschämend» - die Strafrechtsrevision «tut absolut Not»

Der Aargauer Justiz- und Polizeidirektor, Landammann Urs Hofmann, bestätigte die angesprochene Problematik und bezeichnete sie aus seiner
persönlichen Sicht als «beschämend und alles andere als ein Ruhmesblatt für unsere Gesetzgebung». Er begrüsse es deshalb sehr, dass Bundesrätin
Simonetta Sommaruga für die nötige Revision des Schweizerischen Strafgesetzbuchs eine Gesetzesnovelle vorgelegt hat, die sich bis Ende November 2011 in der Vernehmlassung befindet. «Sollte das Gesetzgebungsverfahren beim Bund ins Stocken geraten oder sogar scheitern,» fügte Hofmann an, «nehme ich in Aussicht, Regierungsrat und Grossem Rat eine Änderung des kantonalen Rechts vorzuschlagen, mit dem die Prostitution in unserem Kanton einer verstärkten präventiven Kontrolle unterworfen wird». Diese sei bereits in einzelnen Kantonen (Genf, Bern, Solothurn) und Städten (Zürich) der Fall.

Hofmann wies auf «regelmässige Milieukontrollen der Kantonspolizei, inderen Rahmen auch die Herkunft und das Alter der Prostituiertenüberprüft werden» hin, die in erster Linie auf die Bekämpfung desillegalen Menschenhandels zielten. Wenn bei diesen Kontrollen auch seitlängerer Zeit keine minderjährigen Prostituierten angetroffen wurden,schliesse er nicht aus, dass es eine Dunkelziffer in anderen wenigerkontrollierten Kanälen des Sexgewerbes gebe. Hofmann sagte dieausdrückliche Unterstützung der Aargauer Regierung beim Schutz derMinderjährigen vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch zu.

Nationalrätin Pascale Bruderer erläuterte die geplante Revision des Strafgesetzbesuches, die ihrer Meinung nach «absolut Not tut». Die neue Strafnorm sehe vor, dass sich strafbar mache, «wer gegen Entgelt sexuelle Dienste von Minderjährigen zwischen 16 und 18 Jahren in Anspruch nimmt. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Art das Entgelt ist». Sie betonte, dass sich nach der neuen Gesetzesnorm nur die Freier sowie Zuhälter oder Bordellbetreiber strafbar machen würden, nicht aber die Unmündigen selbst. Notwendig seien aber auch Begleitmassnahmen für die minderjährigen Prostituierten selber, betonte Bruderer. Sie rechne zwar noch mit der entsprechenden Botschaft des Bundesrats «in der ersten Hälfte des nächsten Jahres», mit der Umsetzung der neuen Strafnorm und der Ratifikation der Konvention aufgrund der parlamentarischen Prozesse aber «mit aller Vorsicht frühestens im Jahr 2014». Sie begrüsste das Engagement der reformierten Kirchen in dieser Thematik, «die durchaus auch eine ethische Wertedimension tangiert» und in der sie «kirchliche Denkanstösse und Beiträge an die politische Diskussion als ausserordentlich wertvoll» erachte.

Die Ungarische Reformierte Kirche setzt sich – auch mit Unterstützung der Reformierten Landeskirche Aargau – für eine «Bildung und Vorbereitung der jungen Menschen in Ungarn ein, die sie vor den Gefahren der Prostitution schützt», erklärte Bischof Istvan Szabo. Zoltan Balog ist als Staatsminister für soziale Integration speziell für von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe zuständig. Die Zusammenarbeit mit den ungarischen Kirchen ist für ihn speziell in diesem Problembereich eine grosse Unterstützung für die Erreichung der sozialen Ziele.

Kirchen arbeiten international gegen Verletzungen der Menschenwürde zusammen

Der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Gottfried Locher, begründete die christlichen Werte, die Haltung und die Ziele, mit denen sich die reformierten Kirchen der Schweiz in Ungarn aber auch in der Schweiz in dieser Thematik engagieren, und erklärte die Ziele und des Vorgehen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds.

Kirchenratspräsidentin Claudia Bandixen betonte die internationale Zusammenarbeit der Kirchen: «Bei tiefen Verletzungen der Menschenwürde wie im Menschenhandel und in der Prostitution Minderjähriger, genügt eine lokal beschränkte Arbeit niemals». Bei der Erarbeitung des Präventionsmaterials sind Erfahrungen aus südamerikanischen Kirchen eingeflossen, die Umsetzung wird gemeinsam mit der ungarischen Kirche geplant. In Ungarn sollen zunächst Unterrichtende und Multiplikatoren für die Präventionsarbeit ausgebildet werden. Die Kirchen hätten es aufgrund ihrer gemeinsamen Werte und Grundhaltungen viel einfacher, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten als staatliche Organe.

Und an die Seite des Staates gerichtet, mahnte sie die Wiederbelebung des «Runden Tisch zum Thema Menschenhandel» im Kanton Aargau mit Polizei, spezialisierten Non Profit Organisationen und Kirchen an. «Ein erster Anlauf ist 2008 im Aargau vom Staat gestoppt worden,» erklärte Bandixen.

verfasst von
Frank Worbs