Medienmitteilung – Die Zahl der Kirchenaustritte aus der Reformierten Kirche Aargau hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Daneben stieg auch der demographische Mitgliederschwund an. Gleichzeitig waren kirchliche Bestattungen und Taufen rückläufig. Ein Austrittsgrund, der 2023 erstmals und häufig genannt wurde, war, dass das Geld der Kirchensteuer zum Bestreiten des normalen Lebensunterhaltes gebraucht werde. Das diakonische Engagement der Kirche bleibt angesichts der steigenden Armutszahlen wichtig.
Die am 12. September 2023 publizierte Missbrauchsstudie der katholischen Kirche hatte nur einen geringen Einfluss auf die Austrittszahlen aus der Reformierten Kirche Aargau: in den Austrittsschreiben wurde dieser Grund kaum genannt.
Kirchliche Handlungen: Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Abdankungen
Gesamtsituation: Infolge eines «Nachhol-Effekts» nach dem Lockdown 2020 stieg die Anzahl von Taufen und kirchlichen Trauungen in den Jahren 2021 und 2022 an. Dieser Trend hat sich nicht fortgesetzt. Im Jahr 2023 war ein deutlicher Rückgang aller Kasualien – Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Abdankungen – zu verzeichnen.
Anzahl kirchliche Handlungen: Im vergangenen Jahr wurden in der Reformierten Kirche Aargau 601 Kinder getauft (Vorjahr: 796), 1056 junge Erwachsene konfirmiert (Vorjahr: 1122), 101 Paare kirchlich getraut (Vorjahr: 112) und 1540 Abdankungen gefeiert (Vorjahr: 1616). 13 Kinder wurden gesegnet. 67 Abdankungen wurden 2023 für Personen aus einer anderen Kirche oder Religion gefeiert, 66 für konfessionslose Personen. Bei 38 der 101 Traupaare kamen Braut oder Bräutigam aus einer anderen Kirche, bei 2 Paaren aus einer anderen Religion. Bei 20 Brautpaaren war ein Partner konfessionslos. Unter den Traupaaren waren 2023 drei gleichgeschlechtliche Paare.
Besonderheiten 2023: Auffällig ist insbesondere der Rückgang der Taufen um 24.5%, der nur zu einem geringen Teil durch den Geburtenrückgang erklärt werden kann. Auch der Rückgang an kirchlichen Bestattungen um 4.7% ist auffällig, da in der Reformierten Kirche Aargau im Jahr 2023 ein Höchststand an demographisch bedingtem Mitgliederschwund verzeichnet wurde.
Mitgliederstatistik
Austritte: 4892 Personen oder 3.5 Prozent der Mitglieder sind 2023 aus den 74 Aargauer Kirchgemeinden ausgetreten. Damit hat sich die Zahl der Austritte gegenüber dem Vorjahr erhöht. Es waren 527 Austritte mehr als 2022 (4‘365 Austritte) zu verzeichnen. Die Austrittsquote ist höher als jemals zuvor.
Eintritte: 205 Personen sind in die reformierte Kirche im Aargau eingetreten. Die Zahl der deklarierten Eintritte ist gegenüber 2022 (176 Eintritte) um 16 Prozent gestiegen, liegt aber immer noch unter dem Niveau von 2021 (215 Eintritte). Die Eintritte kompensierten im letzten Jahr nur 4 Prozent der Austritte.
Demographische Entwicklung und Mitgliedszahl: Die Bilanz der Austritte und Eintritte ergibt ein Minus von 4687 Mitgliedern. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist die Gesamtzahl der Mitglieder aber um 5545 (Vorjahr: 4529) zurückgegangen. Der demographisch bedingte Schwund von 858 Mitgliedern liegt deutlich über dem demographischen Rückgang von 2022 (340 Mitglieder). Ende 2023 hatten die 74 Aargauer Kirchgemeinden insgesamt 138’610 Mitglieder (Vorjahr: 144‘155).
Besonderheiten 2023 – Verlauf der Austritte: Die am 12. September 2023 veröffentlichte Missbrauchsstudie der katholischen Kirche hatte nur geringe Auswirkungen auf die Austrittszahlen der Reformierten Kirche Aargau. Im September war zwar – verglichen mit August – ein sprunghafter Anstieg der Austritte erkennbar. Die Kurve flachte jedoch im Oktober und November wieder ab und stieg erst im Dezember wieder deutlich an. Das Phänomen ansteigender Austrittszahlen gegen Ende Jahr wurde bereits in den Vorjahren beobachtet: Der Anstieg beginnt oft nach den Sommerferien und erreicht im Dezember einen Höhepunkt.
Besonderheiten 2023 – Begründung der Austritte: Die meisten Austretenden geben keine Gründe für ihren Austritt an. In den wenigen vorliegenden Schreiben werden fehlender Bezug zur Kirche, fehlender Glaube, der Übertritt zu einer anderen Glaubensgemeinschaft und finanzielle Aspekte genannt. Die Missbrauchsstudie wurde hingegen nie als alleiniger Austrittsgrund genannt. Auffällig ist, dass im Jahr 2023 bei den finanziellen Aspekten nicht nur «steuerliche Gründe» angegeben wurden, sondern mehrfach betont wurde, dass das Geld für den Lebensunterhalt dringend gebraucht werde.
Stellungnahme von Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg
Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg äussert sich zur aktuellen Entwicklung: «Natürlich machen uns die hohen Austrittszahlen Sorgen, insbesondere da wir sehen, dass kirchliches, diakonisches Engagement angesichts der stetig steigenden Armutszahlen wichtig ist und bleibt. Die Kirchgemeinden und die Reformierte Landeskirche Aargau leisten Budgetberatung und Wegbegleitung in schwierigen Lebenssituationen, Lebensmittelhilfe in Zusammenarbeit mit Cartons du Coeur, finanzielle Unterstützung durch die Stiftung Diakonie-Rappen, sowie in Zusammenarbeit mit der HEKS Regionalstelle Aargau-Solothurn. Um diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben auch zukünftig wahrnehmen zu können, bereitet sich die Reformierte Kirche Aargau im laufenden Kirchenreformprozess auf die Zukunftvor. Ein Thema sind dabei auch neue, flexiblere Mitgliedschaftsmodelle, um Zugehörigkeit und Mitbestimmung auch den Menschen zu ermöglichen, für die eine klassische Mitgliedschaft nicht mehr in Frage kommt. Bei der Gesprächssynode am 13. März in Suhr wird dieses Thema diskutiert werden.»